Habeck in Hanau

in Deutsch Unplugged3 years ago (edited)

Grüne Spitzenkandidaten ziehen. Jedenfalls gilt das für Robert Habeck. Das war aktuell bei seinem Wahlkampfauftritt auf dem Hanauer Marktplatz zu erleben. Circa 500 Zuhörer waren gekommen, die Habeck reden hören wollten. Im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen eine bemerkenswert hohe Zahl.

Eine Rundbühne, mit extra Monitoren obendrüber, die den Redner aus variierenden Perspektiven zeigen – alles mit geringem Aufwand in Szene gesetzt, aber effektvoll, ein bisschen wie für einen Popstar. Hinter der Bühne eine Reihe dunkler schwarzer Transporter, die an die Trump-Konvois erinnerten. Hier waren es, standesgemäß, e-Mercedes-waggons.

Robert Habeck ist ein charismatischer Redner, keine Frage. Wie er völlig entspannt auf die Bühne kommt und seine Rede startet, das erzeugt von Anfang an sprichwörtliche Präsenz. Ohne aufdringlich druckverstärkende Phrasen geht er sofort auf „Hanau“ los. Hanau. Die Stadt, die inzwischen bundesweit bekannt ist als Ort der rassistisch motivierten Morde vom 19. Februar 2020.

Vis-á-vis zu Habecks Standort, im Rücken der Zuschauer am Neustädter Rathaus, hat die Stadtverwaltung ein meterhohes Erinnerungsbanner aufhängen lassen, das an die damaligen Taten erinnert und beteuert, dass man in Hanau zusammenstehe. Für Habeck die perfekte Bühne. Es ist unausweichlich, dass er das Thema als Starter hernimmt und so von Beginn an die Herzen der Zuhörerschaft gewinnt. Beifall, Zustimmung. Daran ändern dann im Verlauf der Ansprache auch die „background vocals“ nichts, in Gestalt von vier oder fünf vermutlich sehr rechts gesiedelten Grünengegnern, mit Deutschlandfahne und, lästig, mit einem Megaphon bewaffnet. Habeck kanzelt sie zwischendurch routiniert ab, mit sowas hat er erkennbar kein Problem.

Mit kurzen Ausflügen in die Problemkreise „Afghanistan“ und „Klimawandel“ nimmt er dann die Performance der derzeitigen GroKo aufs Korn. Man kritisiere von dort die Grünen, die Fortschrittswege anböten, ohne aber selbst Lösungen zu präsentieren. Beim Klima habe jetzt sogar das Verfassungsgericht der Merkel-Regierung einen Knuff verpassen müssen, damit etwas geschehe.

Angenehm ist Habecks selbstreflektierender Stil. Er dreht und wendet die Argumente, die Fürs und Widers noch während der Behandlung des Themas - das wirkte für eine Wahlkampfrede schon außergewöhnlich. Er greift zum Beispiel die Politik der Gegner an, um im nächsten Atemzug zu ergänzen, dass man jedem Handelnden in der Politik auch Fehler zugestehen müsse, „auch den Grünen“ – entscheidend sein dann aber, dass alle Seiten aus Fehlern lernen. Habeck kommt dabei ohne persönliche Angriffe aus. Er erwähnt zwar Namen der Konkurrenz, doch verbleibt er in seiner Kritik stets oberhalb der Gürtellinie. Leben und Leben lassen, in der vielleicht kommenden Koalition, so mochte man das interpretieren.

Unangenehm: Habecks Ansprache gründet auf dem Narrativ einer Welt der Bedrohungen, der „kommenden Krisen“. Ganz vorne dran ist dabei, Grüne-typisch, die Proklamation von der immer wärmer werdenden Welt. Die Behandlung der „Klimakrise“ steht bei den Grünen insoweit über allem. Die Methode, die Krise als unausweichlich, und die eigene Partei als mögliche Retterin anzubieten, ist andererseits so neu nicht.

Dass Deutschland mit seinem nur noch relativ geringen jährlichen CO2-Ausstoß die wachsenden (und mit dem 2015er Klimavertrag erlaubten) Kontingente aufstrebender Staaten wie China, Indien, Nigeria gar nicht ausgleichen kann, auch nicht annähernd, ist in dieser Erzählung nicht von Belang. Deutschland muss „Tempo machen“ beim Weg in die CO2-Neutralität, und man fühlt ein bisschen: mit diesem Tempo würden sich unter einer grünen Regierung Eile, Leistungsdruck, Verzicht, der Einsatz aller Kräfte und jeglicher Summen verbinden. Eine nette, freundliche, entspannte Welt ist es nicht, die grüne Wahlkämpfer in diesen Tagen den Zuhörern versprechen. Man wähnt sich vielmehr angetreten, die Welt zu retten.

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 3 years ago 

Schön, dass der Dorfreporter letzte Nacht wieder seine Arbeit auf dem Steem aufgenommen hat. Dass dabei sogar ein Bericht aus dem aktuellen Geschehen unseres Dorfes heraus kam, ist nicht nur dem praktischen Zufall geschuldet, dass Habeck gestern in Hanau war.

Wir lesen mit diesem Artikel eine der mittlerweile ausgesprochen seltenen, professionellen Arbeiten eines umsichtigen und vor allem nicht bösartig austeilenden Journalisten. Das ist in Wahlkampfzeiten ein ganz seltenes Gut. Wenn es mit dem Dorfreporter so weiter geht, wenn er dieses Niveau hält und wir sogar noch mehr so gute Textarbeiter für den Steem gewinnen können, ist mir für die Zukunft dieser von dilettierenden Glücksrittern niveaulos gebeutelten Blockchain gar nicht mehr so bang.

Denjenigen übrigens, die Chriddi noch immer leidenschaftlich für ihre Communityregeln kritisieren, sei gesagt, dass Dorfreporter genau den Standard abgeliefert hat, den wir Deutsch Ungepluggten tatsächlich seit Jahren schmerzlich vermissen. Dank ihm wurde die Messlatte gerade um ein ganzes Stück nach oben verlegt. Ganz ohne Communityregeln. Einfach nur, weil er es kann.

 3 years ago 

Wir lesen mit diesem Artikel eine der mittlerweile ausgesprochen seltenen, professionellen Arbeiten eines umsichtigen und vor allem nicht bösartig austeilenden Journalisten

Lieber Frosch 🐸 ich gebe Dir recht, es sind mir auch die als Leser geschätztesten Post die ganz ohne Kraftausdrücke ihre Botschaft überbringen .
VgA

"nicht bösartig austeilend" ... okok. Wenn Du das sagst :-)))

 3 years ago (edited)

Ja ich fand deinen Habeck angenehm konstruktiv kritisch gesehen.

 3 years ago 

Sehr schön geschrieben, vielen Dank, @dorfreporter!
Von Habeck war ich recht angetan, nachdem ich sein Interview gesehen und gehört hatte bei Sternstunde Philosophie in SRF Kultur:

Aber die Grünen haben mich verloren, als sie einerseits statt Habeck Baerbock ins Rennen schickten und andererseits im Parlament jener Anpassung der Notstandsgesetze zustimmten, welche die GroKo wollte, um ihre unsäglichen Corona-Maßnahmen irgendwie halbwegs zu rechtfertigen. Auch im Grünen-geführten Ländle sehen die Corona-Maßnahmen ja leider nicht besser aus, tragen keinerlei für mich erkennbare "grüne Handschrift".

Wie der Dorfreporter weise andeutet, ist es zweierlei: die Welt retten zu wollen und damit Politik zu machen. Klimaschutz ist längst mehr geworden als der Schutz des Klimas - es ist mittlerweile auch Schutz vor dem Klima(-wandel). Eine Orientierung am CO2-Ausstoß wird folglich nur noch einen Bruchteil ausmachen können. Dennoch möchte ich diesen Gedanken verteidigen, obwohl er angesichts "CO2-produzierender Staaten" wie eine Sisyphusarbeit erscheinen mag. Meine Argumente dafür wären etwa, dass Industriestaaten vormachen müssen, wie es geht, ohne dadurch zweitrangig zu werden, und dass der internationale Einfluss nicht eben steigt, wenn man vor der eigenen Haustür selbst zu viel Dreck schleudert.

Ja, die Entscheidung für Baerbock war ein Fehler. Die Grünen werden es intern schon bereuen. Die Performance der Mitbewerber ist jetzt halt auch derart darniedergegangen, dass er richtig herausstechen würde als Kanzlerkandidat. - Beim Umgang mit Corona sind alle Gefangene ihrer eigenen Entscheidungen. Der Weg heraus wird noch kompliziert werden, denn faktisch haben wir jetzt eine Art Primaten des Gesundseinmüssens verhängt bekommen.

 3 years ago 

"Beim Umgang mit Corona sind alle Gefangene ihrer eigenen Entscheidungen."
Guter Satz, über den ich noch nachdenken muss.

"...Primaten des Gesundseinmüssens..."
Keine Ahnung, welche Autokorrektur das war, aber gefällt mir!
;-))

 3 years ago 

"Gefangene der eigenen Entscheidungen" zu sein, könnte ein Phänomen innerhalb dessen sein, was ich als "Kognitive Dissonanz" kennen gelernt habe.

Gerade bin über einen anderen Satz gestolpert, der passt nicht nur (aber auch) zu so manchen Corona-Entscheidungen und stammt laut meiner Fundstelle von Sloterdijk:
"Verzichtest du auf weitere Fragen, bist du in Sicherheit."

Hier die unerfreuliche Fundstelle:
https://web.de/magazine/politik/gabor-steingarts-morning-briefing-oeko-maerchen-vebrauch-fossiler-brennstoffe-naehert-allzeithoch-36103276

 3 years ago 

Ziemlich nachtragend nehme ich es Robert Habeck noch immer übel, dass er uns hier im Norden "im Stich gelassen hat", aber als wahlkämpfender Parteivorsitzender macht er sich in meinen Augen deutlich besser als viele andere Politiker seines Kalibers, die ja irgendwie alle ihre Programme irgendwie verkaufen müssen - so utopisch manch eines in seiner Umsetzungsmöglichkeit auch sein mag. In dieser Einschätzung - besonders auch, was das nicht angreifende, gar verletzende Anbringen von Kritik innerhalb einer bereits als vergessen gewähnten Diskussionskultur betrifft - hat mich dein professioneller, ziemlich objektiver Bericht bestärkt. Danke.

Des Weiteren kann ich mich Martin in allen Punkten nur anschließen - schön, dass du hier bist!

haha, na ja, professionell... ich kenne es aus dem Berichten für unser früheres Stadtblatt. Da bekam man direkt auf die Fußzehen, wenn sich jemand falsch dargestellt fühlte. Sowas erzieht vermutlich. Man begegnet den Leuten ja im Supermarkt, und manche Gänge sind da auch eng :-)

 3 years ago 

Dabei soll's in Dawillichleben do so friedlich zugehen... ;-)

Ist immer friedlich, im Grunde. Das meiste sind Zwergenaufstände.
Zwerg*innenaufstände ;-)

 3 years ago 

Das kommt dabei raus wenn „man“ sich in der Öffentlichkeit selbst sterilisiert um der Frauenquote gerecht zu werden , schadet im und seiner Partei nicht !
Den Gegner kann’s nur recht sein
VgA

 3 years ago (edited)

Ich weiß jetzt nicht so ganz genau, was du mit "dabei rauskommen" meinst. Ich wollte einfach nur ausdrücken, dass ich es schade finde, dass Robert Habeck für Berlin das Amt des schleswig-holsteinischen Umweltministers niedergelegt hat. Hier hat er in meinen Augen ganz hervorragende Arbeit geleistet, denn er hat gehandelt, statt nur - wie viele seiner Vorgänger - zu lamentieren. Dafür hat er selbstverständlich auch viel Gegenwind erhalten, besonders vom ziemlich konservativen Bauernverband. Aber damit ist er stets souverän umgegangen, was ihn für mich zu einem der größten Charakterköpfe auf der Politbühne Schleswig-Holsteins gemacht hat.
Das war ja alles vor der Kanzlerkandidaturfrage. Wobei ich "Selbststerilisation für die Frauenquote" für genau das unsachliche Vokabular halte, ohne das dieser Beitrag sowie seine Kommentare bislang so wunderbar ausgekommen ist.

schadet ihm und seiner Partei nicht

Da bin ich dann doch mal wieder anderer Meinung als du. Die Personalfrage ist ja auch immer wieder eine Personenfrage. Und da glaube ich einfach, dass Habeck der größere Sympathieträger ist. Dem hätte ich "Kanzler" - sogar aus der Minderheit in einer Koalition heraus - zugetraut.

Eines gefällt mir aber am Wahlkampf der Grünen, unabhängig vom Kandidaten, sehr:

mit diesem Tempo würden sich unter einer grünen Regierung Eile, Leistungsdruck, Verzicht, der Einsatz aller Kräfte und jeglicher Summen verbinden.

D.h.: Sie versprechen niemandem Milch und Honig.
Auch nicht langfristig, denn ich denke nicht, dass ein Politiker oder eine deutsche Partei so naiv ist zu glauben, die Welt retten zu können. Es geht schlicht um Zeichensetzung. Wenn man nicht vor der eigenen Haustür beginnt, hat man kein Recht, sich irgendwo (global) einmischen zu wollen, also zu fordern.

 3 years ago 

Hallo Chriddi,ich kenne keinen Mann der sich öffentlich selbst so beschnitten hat wie R.Habeck . Ich halte ihn für den weit aus erfolgreicheren Kanzler Kandidatin . Da ich kein Grünnen Fan bin kann es mir nur recht sein
Landwirtschaftlich müssten wir ab von der Top-Milchleistung 40 bis 50 Liter zu gesunden Tieren die 18 bis 28 Liter Milch geben und dafür einen Nutzen Lebenszeit von wieder circa 10 bis 15 Jahren hätten .
Nur um das zu erreichen müsste man sich vom Agra Eu-Markt abkapseln, was das heist muss ich nicht sagen , eine Nation kann das schaffen, europa niemals, dafür sind alle zu viel Ego getriebene
VgA