Ich glaub, ich spinne!

Zugegeben ist es recht still um mich geworden, nachdem ich im Sommer vermeintlich vermessen angekündigt hatte, nun "ganz groß in Wolle zu machen". Schnell war klar, dass es sich bei meiner "Fabrikantenkarriere" um eine Fehlplanung handelte - ich konnte mit meiner nigelnagelneuen Schermaschine nicht mal meine eigenen Schafe scheren und die Wolle entpuppte sich nach einer aufwendigen Waschprozedur als ungeeignet für alle weiteren Verarbeitungsvorgänge. Da soll man wohl kleinlaut werden.

Selbstverständlich war "das große Wollgeschäft" immer nur ein Spaß, dennoch war ich enttäuscht: Ich wollte Socken aus selbstgesponnener Wolle und diese musste - stur, starrköpfig, unbelehrbar - von meinen eigenen Böckchen stammen! Erst als meine Freundin, die mir eine Kardiermaschine (zum Kämmen der Schafwolle) und ein Spinnrad geliehen hatte, ihre Geräte anmahnte, da diese etwas besseres verdient hätten als bei mir einzustauben, konnte ich mich aus meinem auffällig dauerhaften Schmollmodus befreien. Frohen Mutes begab ich mich zunächst zur Fortbildung auf ein Wollfest, bewunderte folkloristisch gekleidete Wettspinnerinnen und machte mir - gemeinsam mit meinem sehr kritisch sogar den Geruch der Ware überprüfenden Partner - ein Bild von der Qualität der Wolle unterschiedlichster Schafrassen.

Dabei stellte sich heraus, dass weder die Wolle von Milchschafen noch die der etwas robusteren Texelschafe besonders gut zur Verarbeitung zu Textilien geeignet ist, diese eher als "Stopfwolle" für Kissen und Matratzen genutzt wird.
Na und? Meine Böcke sind Mischlinge aus Ostfriesischen Milchschafen und Texelschafen. Da musste doch was gehen!

Also setzte ich mich mit meinen kläglichen Wollflocken an die Kardiermaschine (hört sich großspurig an, ist aber ein rein manuell betriebenes mechanisches Gerät) und bekam tatsächlich ein "zusammenhängendes Etwas" zustande.

Da musste doch was gehen!
Natürlich hatte ich nach einer wirklich knappen Einweisung in die Geheimnisse des Spinnrads nach all den Wochen vergessen, wie das Teil wohl funktionieren mochte. Eigentlich bin ich niemand, der sich über YouTube-Videos irgendwelche Fähigkeiten aneignet, aber ich wollte mir als große Spinnerin nicht die Blöße geben, nochmal um Nachhilfeunterricht zu bitten. Nach mehreren Episoden von "Ich guck noch schnell ein Video" und "Sch..., schon wieder gerissen" hatte ich irgendwann das Gefühl, Chantal-Manou sei meine beste Freundin und ginge bei uns ein und aus. Sie erklärt die ganze Spinnerei wirklich gut. Zudem räumte sie ein, Anfänger sollten sich zwar nicht daran probieren, aber grundsätzlich könne man auch mit kurzer Wolle bis etwa 4 cm spinnen. Ha! Vier Zentimeter maß die Böckchen-Wolle locker! Anfänger? Pah!

"Das darf nicht wahr sein, es reißt und reißt!", so meine beständige Feststellung, die mich nachts um den Schlaf brachte, morgens um Vier ans nächste Video und zurück an das Spinnrad trieb. Zu guter letzt bürstete ich sogar den Hund durch, denn der hat etwas längeres Fell als die Böcke zum Zeitpunkt ihrer Schur.
Und siehe da: Ein Faden! Ein ziemlich langer sogar! In meiner Umtriebigkeit hatte ich gar nicht bemerkt, dass das Spinnrad nicht mehr einfach so von alleine stehen blieb und damit jeden Faden unweigerlich reißen ließ! Ich konnte plötzlich spinnen! Das Problem, dass diese Handarbeit zunächst einmal nur von ausgebildeten Schlagzeugern ausgeführt werden sollte, da beim Spinnen beide Hände in jeweils anderem Rhythmus als der das Pedal bedienende Fuß arbeiten müssen (nichts für Koordinationslegastheniker), hat mir niemand geschildert, weshalb ich erwartete, mich dessen Lösung noch Jahre widmen zu müssen. Nein! Ich sponn wie von alleine einen Faden! Und ich leckte Blut...

Noch vor Sonnenaufgang verkündete ich an jenem Tag, meinen Stolz abzulegen und mir ein vollständiges Wollvlies zu besorgen! Gesagt, getan, ich sitze immerhin an der Quelle.
Nicht von meinen Böcken, aber wenigstens kenne ich das Schaf, dem der Mantel ausgezogen wurde. Ziemlich schmutzig, aber ganz schön langfaserig - so sieht ein ordentlich geschorenes Vlies aus:

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Dumm, dass da ja noch sowas wie "Wäsche" im Raum steht, wenn man doch nur noch spinnen will. Ich bediente mich diesmal also eines irgendwo im Netz gelesenen Faulenzertricks (nicht nachmachen!), damit die Wäsche schneller geht:

Nachdem ich die Wolle vom gröbsten Schmutz befreit hatte, packte ich sie in kleinen Portionen in Wäschebeutel, weichte sie darin über Nacht in klarem Wasser ein und steckte die Beutel dann mit etwas Shampoo ... in die Waschmaschine... 🫣
Nicht lange, auch nur das kalte Wollprogamm nutzend. Dennoch geschah, was geschehen musste: Ein Großteil der Wolle war verfilzt. Diese wieder einigermaßen auseinander zu bekommen (ja, schade, ein knappes Viertel des schönen Vlieses ist nun Kompostwolle...), kostete mich mehr Zeit, als die sorgfältige Handwäsche beim ersten Versuch.
Naja, ich lerne an jedem Fehler (will auch gar nicht mehr stur sein) und freute mich einfach nur über einen ansehnlichen Haufen fluffiger, langfasriger Wolle:

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Diesen zu kämmen ist nochmal richtig viel Arbeit! Erst kämmt man grob mit der Hand vor (danke, dass du mir deine Bürste leihst, Mäxchen!), um verklebte Spitzen voneinander zu trennen, dann muss die Wolle fein kardiert werden. Ich war klug und habe nur ein Portiönchen Wolle dieser Prozedur unterzogen, um... Yeah!!!

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Mega stolz die halbe Welt benachrichtigend, bekam nun auch meine Feundin wieder Lust auf Wolle. Wir handelten eine Leihgebühr von einem Wollvlies aus (ich sitze ja bekanntlich an der Quelle) und vereinbarten einen Übergabetermin für die Geräte. Keine Sorge: Zwischenzeitlich hatte ich mir eine eigene Kardiermaschine bestellt. Und plötzlich hatte ich Märchenwolle! Echt jetzt, ich glaub, ich spinne - ich habe ein super schickes Kammvlies hergestellt!

Oh, what a stuff! Verzeiht, wenn ich euch neidisch mache! Ich bin so verzückt! Märchenwolle? Was rede ich? Das ist ganz zauberhafte Feenwolle! Unbezahlbar! Ja und dann? Dann fing ich wirklich an zu spinnen und wurde zu Mrs. Penibel... ;-)

Nun habe ich einen Wäschekorb voll Feenwolle und warte seit Tagen auf... Eigentlich schon vorgestern, dann gestern, jetzt heute, aber es ist immer noch nicht angekommen, mein neues Spinnrad!
Ich bin kein besonders geduldiger Mensch, muss mich darin aber wohl üben und hoffen, dass ich vor Spannung und Vorfreude nicht platze!
Also versuche ich besser, mich ein Weilchen zu entspannen und dem Oktober noch ein paar goldene Sonnenstrahlen zu entlocken...

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Fotos: @chriddi

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21.10.2022

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