In Ruhe und Frieden
Seine Knochen mögen in Frieden ruhen, doch das Herz ist verloren. Es sollte am Leben bleiben, in der Pyramide. Was so romantisch klingt, ist Realität. Offiziell wird darüber nicht mehr geschrieben, wenn vom Grabdenkmal im Staatspark Wilhelmsbad die Rede ist. Lass einfach denk vom Wort weg, dann hast du ein Grabmal. Genau das ist es auch gewesen. Weil hier das Herz von Erbprinz Friedrich (1772–1784) in einer Marmorurne stand, dem ersten Sohn des Landgrafen Wilhelm IX. Die Wirklichkeit killt jede romantische Fantasie.
Die Urne mit dem Knabenherz wurde Mitte der Neunzehnhundertachziger Jahre gestohlen. So wohnt dem Grabmal zwar noch der Hauch väterlicher Verzweiflung inne, doch die Erinnerung an das Herz wird mit der Zeit vergehen. Weil der Staat daraus ein Grabdenkmal gezaubert hat. Freilich ohne die Namen der Beteiligten zu würdigen. Vielleicht will die Parkleitung keinen Auswüchsen von Pyramidenzauber und Okkultismus Vorschub leisten. Wer weiß?
Ich kann behaupten, das Urnengrab noch bewohnt kennengelernt zu haben und tatsächlich ging davon immer eine Art morbider Zauber aus, den es ohne Herz nicht mehr hat. Das kann aber auch an meinem aufgeklärten Alter liegen. Ist doch eh alles nur Einbildung. Was mich beim Fotografieren auf diese Gedanken brachte, war allerdings ein aktueller Vorfall.
Wie jeder weiß, betreue ich einen Hundertjährigen, der Anfang Februar wirklich Hundert Jahre alt wird. Sein Haus ist auch alt und er musste eine neue Gastherme und mehrere Heizkörper anschaffen. Es war drei Tage kalt in der Bude, nur die Küche lag im Fieber des üblichen Brutkastens. Was er mit der vollen Leistung eines elektrischen Heizkörpers schaffte. Hat alles prima geklappt, aber seine Queen ist weg. Die hat immer pikobello Wäsche gelegt, Knöpfe angenäht und einen neuen Janker gekauft. Sogar gekocht hat sie. Jetzt ist sie richtig weg! Böser Krach. Über Lebende darf ich nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Nur so viel: Sie kommt nicht mehr. Was tut der alte Haudegen jetzt deiner Meinung nach? Zieht der lettische Bär den Säbel?
Nein, er hat den Queen-Blues und bestellt noch vor seinem Geburtstag die eigene Beerdigung. Viertausend Mücken auf die Rechnung zur Therme inklusive Heizkörpern obendrauf. Ich fragte: „Wie passt das zusammen, lettischer Bär?“ „Was passt?“, entgegnete er ahnungslos. „Du bekommst eine neue Heizung für die Bruchbude und bestellst einen Sarg dazu. Sind das Investitionen in die Zukunft? Für mich ist das ein Widerspruch!“ „Du bist ein junger Mann. Ich pfeife aus dem letzten Loch, Martin.“ „Dafür hast du mit der neuen Heizung aber ganz schön kräftig gepfiffen.“, meinte ich, „und ist das Beerdigungsunternehmen seriös? Wo hast du das her?“
Du musst wissen, dass ich eingetragene Pflegeperson des alten Käptn bin. Ich muss so was fragen. „Lass das Mal meine Sorge sein, Martin. Don't you worry little fellow!“ Letzteres skandierten wir unisono. Später hat er mir seine vertrauenswürdige Quelle für die Beerdigung genannt und ich bringe die Überweisung zur Bank. Das geht in Ordnung.
Treuhand Aktiengesellschaft. Deutsche Bestattungsvorsorge. Was es alles gibt!
Der hellgraue Käpt'n unter immer noch vollen, struppig herumstehenden Haarbüscheln fuhr fort: „Die kamen persönlich ins Haus, haben mir im Katalog die Särge gezeigt und ich habe mir einen schönen ausgesucht. Einen, in dem ich ruhig schlafen kann. Die Knochen mal eben lang legen.“ „Woher willst du wissen, was daran schön sein soll? Ist er tatsächlich bequem? Kannst du dich darin drehen?“, fragte ich. Er fing an, verschmitzt zu lächeln. „Du kannst dir das Ding doch kommen lassen. Zum Probeliegen! Am Besten noch vor dem Geburtstag. Ist noch ein bissi Zeit. So kannst du sie dir vertreiben“, meinte ich lachend. „Das ist eine gute Idee, Martin. Das sollte ich tun.“ Wir haben gekichert und gegluckst. Dann schauten wir uns glücklich in die Augen. Jedenfalls in jene, die er mit seinem angeschlagenen Sehvermögen noch erkennen kann. Seine lachten wach, rot, feucht und glücklich.
Dann bin ich hoch gegangen und habe im Fernsehzimmer nassen Teppichboden mit meinem unwiderstehlich scharfen Opinel aufgeschlitzt und vom Parkett gerollt. Eine flache Wanne wurde unter dem Tropfpunkt der Rolle positioniert. Voher kamen offensichtliche Pfützen mit Feudel in den Eimer und anschließend wurde ein Ventilator eingesetzt, der das Parkett trocknet, bevor es zum Mikado wird. Vor Jahrzehnten hat er billige Heizkörper gekauft. Jetzt haben sie Löcher. So geht das mit Billig.
Reingeschaut habe ich in die Pyramide ja auch, wohldem ihre Seele tatsächlich nicht mehr zu spüren war. Die Geschichte, die du dazu erzähltest, war dennoch sehr interessant.
Fesselnder wird es selbstverständlich, wenn du vom Probeliegen berichten wirst... ;-))
Danke fürs Lesen und Kommentieren meines Beitrags, Christiane. Das Probeliegen werde ich selbstverständlich dokumentieren, falls es tatsächlich stattfindet. Dazu muss mein Klient allerdings bereit sein, den Dienstleister bis zum Äußersten zu quälen. Mal sehen, ob er so weit gehen wird. Ich würde das angesichts kaum nachvollziehbar hoher Kosten begrüßen, fände er an dem Thema tatsächlich weiter Spaß.
Eine schöne Geschichte lieber afrog, aber laß dich nicht mit deinem Opinel erwischen. Das scheint ja eine gefährliche Waffe zu sein.
Danke fürs Lesen und Kommentieren, Jochen Paul. Ein Opinel hat in Frankreich jeder Bauer in der Tasche. Das ist ein Werkzeug für den Alltag. Warum sollte mich damit jemand „erwischen“ wollen?
Ich dachte da an Hanau und was auch dort inzwischen alles von Frau Faeser zur Waffe erklärt wird
Ich war mein Leben lang mit irgend etwas Illegalem befasst. Mein Motto: Lebe antizyklisch und subversiv. Da werde ich ausgerechnet jetzt, so langsam gegen Ende der Reise auf dem Planeten, doch nicht vor der Symbolpolitik von getriebenen Steuergeldempfängern kapitulieren.
Der junge Mann scheint ganz rüstig zu sein...
Danke. Der kann nicht besser klagen.
Vielen Dank fürs Lesen und den netten Kommentar.
hehe, ja Hanau´s Geschichte war schon öfters Anlaß für aufregende Geschichten, ob´s gestohle Herzen, Einbrüche ins Schloß, brennende Dachgeschosse in selbigem, Geschichten aus dem blutigen Knochen, oder die fast nicht enden wollende Restaurierung des Karrusels im Park von Wilhelmsbad, es gibt immer was zu erzählen.
Mut hat er dein 100jähriger Käptn, und froh sein kann er das er bei dem Sauwetter ohne Heizung nicht erfroren ist, stell dir mal vor die hätten den Strom abgestellt...
Danke fürs Lesen und Kommentieren, Don. Die Restauration des Karussells ist seit Jahren abgeschlossen. Es finden wieder Fahrten damit statt. Die kuriose Geschichte hier: Ein paar Pferde wurden mal geklaut, sind aber wieder aufgetaucht. Dieser Hergang ist auch noch nicht fertig erzählt.
ja, klar ich weiß, ich weiß, nur weil ich in Andalusien oder irgendwo anders auf der Welt lebe, heißt das nicht, dass ich nicht weiß was in HU los ist. Das gilt ganz besonders im Bezug auf den Hessischen & Bayrischen Denkmalschutzverband ;)
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