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RE: Warum funktioniert unser Rechtssystem nicht?

in #deutsch7 years ago

Erläuternd dazu Kurt Georg Wernicke in Bonner Kommentar zum GG, 1950, Anm. II 1 ff. zu Art. 19:

Art. 19 dient im wesentlichen dem Schutz der GR. und damit – neben Art. 18 – zugleich der Sicherung der freiheitlichen Demokratie. Während sich aber Art. 18 gegen die vom GR.-Trägern herrührende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung wendet, will Art. 19 die von öffentlichen Gewalten – möglicherweise – ausgehende Gefahr bannen.

  1. In Abs. I sind verschiedene Garantievorschriften für GR. eingebaut. Sie sollen einen gewissen Schutz gegenüber dem Gesetzgeber gewährleisten. Der 1. Halbs. von Abs. I 1 behandelt einen bestimmten, tatbestandsmäßig abgegrenzten Kreis von Fällen, in denen für Gesetze zur Vermeidung ihrer Ungültigkeit die durch Halbs. 2 sowie durch Abs. I 2 genau bezeichneten Gültigkeitsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Hierbei handelt es sich einmal um sachliche, zum anderen um formelle Erfordernisse (vgl. Wolff, JR. 1950, S.738 r.).

a) Der in Betracht kommende Kreis von Fällen ist im 1. Halbs. durch folgende Worte abgegrenzt: „Soweit nach diesem Grundgesetz ein GR. … eingeschränkt werden kann“. In Frage kommen hier also diejenigen GR.-Bestimmungen, für die das BGG. einen Gesetzesvorbehalt vorgesehen hat. Welcher Art dieser Gesetzesvorbehalt ist, spielt keine Rolle. Neben dem inhaltlich unbeschränkten kommt ebenso auch der inhaltlich beschränkte Gesetzesvorbehalt in Betracht (vgl. z. B. Art. 2 II 3; 10 2; 14 I 2; bzw. Art. 6 III; 8 II; 11 II; 12 I 2; 13 III; 14 III 2; 15 1; 16 I 2). Wie sich aber schon aus dem Wortlaut des 1. Halbs. ergibt, handelt es sich nur um die Fälle, wo das BGG. dem Gesetzgeber die Möglichkeit vorbehalten hat, unmittelbar oder mittelbar bestimmte GR.-Einschränkungen vorzunehmen. Dagegen bezieht sich Abs. I nicht auf solche Fälle, wo das BGG. keinen Gesetzesvorbehalt, sondern Schranken vorgesehen hat (vgl. hierbei Erl. II, b.).

b) Bei den für die Anwendbarkeit des Abs. I in Betracht kommenden Fällen muß es sich um eine Einschränkbarkeit „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ handeln. Diese beiden Begriffe sind – wie auch sonst im GR.-Katalog – als termini technici anzusehen, für die nur förmliche Gesetze, nicht auch VO.- und Gewohnheitsrecht in Frage kommen (vgl. hierzu neben Erl. II 1 f insbes. Art. 8 II 2 Erl. II 2 b, c; sowie Art. 2 Erl. II 2 f; vgl. Jahrreiß, NJW. 1950, S. 3, insbes. Fußnote 4; auch Vf. Hess., 1946, Art. 63). Die Frage, ob hierunter Bundesgesetze oder – bzw. und – Landesgesetze zu verstehen sind, regelt sich nach den Bestimmungen über die Gesetzgebungszuständigkeit (vgl. BGG. Abschn. VIII).

c) Halbs. 2 enthält eine, und zwar die sachliche Gültigkeitsvoraussetzung. In den Fällen des 1. Halbs. nämlich „muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten“. Die Doppelgleisigkeit dieser Gültigkeitsvoraussetzung dürfte jedoch nur scheinbar sein, da dem negativen Erfordernis wohl nur die Bedeutung einer – authentischen – Interpretation des positiv gefaßten Erfordernisses zukommt (umgekehrt gilt dasselbe). Das negative Erfordernis ist übrigens – streng genommen – nicht einwandfrei formuliert, da hier statt des „muß“ ein „darf“ stehen müßte. Diese Gültigkeitsvoraussetzung bestätigt bzw. verstärkt die grundsätzlich schon aus dem Gleichheitssatz (vgl. Art. 3, auch 1 III) herzuleitende Ausschließung nicht „allgemein“ geltender Gesetze. Erfaßt sind damit insbesondere jene Fälle, wo der Gleichheitssatz nicht ausreichen sollte, denn Art. 19 I 1 verbietet ausnahmslos jegliche Einzelaktgesetzgebung wie z. B. Enteignung oder Sozialisierung eines bestimmten Unternehmens (vgl. Erl. II I f b; hierzu auch Krüger a. a. O.). – (Zum Begriff „allgemeine Gesetze“ vgl. auch Rothenbücher und Smend in Veröff. VDStRL. Heft 4, 1928, S. 18 ff, 51 ff; Köttgen bei Nipperdey, GR. usw., Bd. I, 1929, S. 350 Ziff. c).

d) Für das sachliche Erfordernis des Abs. I 1 ist danach als Ergebnis festzuhalten, daß die Legislative gehalten ist, Gesetze, die – nach dem BGG. zulässige – Einschränkungen von GR. selber festlegen („durch Gesetz“) oder solche Einschränkungen durch die beiden anderen öffentlichen Gewalten, nämlich Verwaltung und Rechtsprechung für zulässig erklären („auf Grund eines Gesetzes“), nur mit „allgemeiner“ Geltungskraft zu erlassen.

e) Als weitere Gültigkeitsvoraussetzung ist in Abs. I 2 bestimmt: „Außerdem muß das Gesetz das GR. unter Angabe des Art. nennen“. Bei diesem formellen Erfordernis stellt das Wort „außerdem“ klar, daß es sich nicht um eine Alternativ-Voraussetzung, sondern um eine weitere, zu der des Abs. I 1 hinzutretende Gültigkeitsvoraussetzung handelt. Der Ansicht von v. Mangoldt (a. a. O., Anm. 3 S. 119), diese Bestimmung könne „nur als Formalismus und unnötige Erschwerung der Arbeit des Gesetzgebers bezeichnet werden“, kann kaum gefolgt werden. Das von v. Mangoldt zur Begründung seiner Ansicht gebrachte Beispiel entbehrt zwar nicht einer gewissen Berechtigung, geht jedoch daran vorbei, daß sich der Verfassungsgeber bewußt für einen so weitgehenden GR.-Schutz entschieden hat (vgl. HptA. 47. Sitz. StenBer S.620, heute S. 1502 lks., Abg. Dr. Dehler: „Wir wollen diese Fessel des Gesetzgebers …“). Das neuartige Erfordernis des Art. 19 I 2 enthält die Wertung, daß der Schutz des Individuums – nach heutiger Auffassung – wichtiger und höherwertiger sei als die Gültigkeit eines Gesetzes, bei dessen Erlaß – wie in dem von v. Mangoldt (a. a. O. S. 120) angeführten Beispiel – „der Gesetzgeber sich im Augenblick … nicht des Eingriffs bewußt geworden ist und daher die Anführung von Art. und GR.“ unterlassen hat. Der Gesetzgeber soll eben nicht mehr in die GR. „unbewußt“ eingreifen dürfen. Er darf es sich jedenfalls dann nicht mehr „bequem“ machen, wenn GR. angetastet werden. Unter der Herrschaft des BGG. sollen Eingriffe in GR. etwas so Außergewöhnliches sein, daß sich der Gesetzgeber dazu nur nach reiflichster Überlegung und in einer für jedermann von vorneherein erkennbaren Weise entschließen darf (vgl. hierbei Mannheim bei Nipperdey, GR. usw., Bd. I, 1929, S. 328). In der Kette der Maßnahmen zur Verwirklichung des als maßgeblich erkannten Grundsatzes, jeder nur denkbaren Gefahr einer erneuten Aushöhlung der GR. in wirkungsvollstem Umfange von vorneherein zu begegnen, bildet Abs. I 2 somit ein nicht unwesentliches Glied (vgl. auch Vf. Hess., 1946, Art. 63 II 1). Für die Gesetzgebung gelegentlich entstehende Schwierigkeiten müssen dabei in Kauf genommen werden. – (Vgl. noch Krüger a. a. O. , Ziff. 1 c, Figge, Die Bedeutung des BGG. f. d. prakt. RPfl., 1950, S.42; auch BReg.-Entw. v. 28. 6. 1950 für ein Ges. üb. d. Vertrieb jugendgefährdender Schriften, dessen Präambel mit der ausdrücklichen Nennung des Art. 5, 1 BGG. dem Art. 19 I, 2 entspricht [DBT. Drucks. Nr. 1101 S. 2, 9], während das gleichartige Ges. v. 12. 10. 1949 in Rh.-Pf. den Art. 19 I 2 BGG. nicht beachtet [GVBl. S. 505]).