Die Lizenz zum Leben nur durch das Abhängigkeitsverhältnis
Also ich weiß ja nicht, wer sich schon mal mit dem Tod auseinander gesetzt hat aber ich muss das öfter tun. Eine Sache, die ich mich selbst oft gefragt habe ist, was passiert eigentlich mit meinem Körper, wenn ich dann mal das Zeitliche gesegnet habe, mein Leben an den Nagel gehängt habe? Ich kann ja morgen auf dem Weg zum Bäcker von Irgendeinem, der nicht ganz wach am Steuer sitzt, einfach überrollt werden. Und dann?
Durch die Realität kann ich sagen - ich werde unter der Erde vergammeln. So argumentiere ich auch, wenn mich jemand fragt: „Ja wieso hast Du Dich denn tätowieren lassen?“ (demonstratives Augenrollen) Ja weil die Erde und die Würmer dadrin mit meiner Asche eine symbiotische Beziehung eingehen werden.
Aber es muss ja nicht der ganze, leblose Körper - oder die Asche - vor sich hin gammeln. Meine Augen sind zum Beispiel super! Damit kann ich vielleicht einem kleinen Kind, welches an einer schweren Hornhautentzündung leidet, wieder neue Lebensqualität schenken. Das sieht man dann meiner Leiche nicht mal an, wenn ich in den Ofen geschoben werde. Ich gebe aber auch Teile von meiner Haut ab, vielleicht an jemand, der Opfer eines Brandes wurde und schwerwiegende Verbrennungen erlitt. Mir ja egal, denn ich will verbrannt werden.
Ist - Zustand
Warum ich das ganze Dir jetzt erzähle?
Weil mit einer Zahl von 797, nach dem Tod gespendeten Organen, Deutschland am tiefsten Punkt seit 20 Jahren ist. 2007 waren es noch 1.313.[1] Und warum? Weil zum Einen Deutschland das einzigste EU Land ist, in der das Gesetz sagt: Hier gilt die Entscheidungslösung und wir verbraten einfach einen Haufen Kohle in Milliardenhöhe für Werbekampagnen[2] für Organspende - und das seit Einführung der Entscheidungslösung im Jahre 2012.
Zum Anderen ist die Organisation einfach Lückenhaft und das Vertrauen der Menschen auf einem sehr niedrigen Niveau diesbezüglich. Was bei alldem ja effektiv raus kam, sagen ja offenkundig die Zahlen. In Europa liegt 2016 Deutschland auf Platz 29 mit einer Spenderrate von 10,4 Spenden (pmp) pro Million Einwohner (2017 sogar mit 9,3). Auf Platz 1 sitzt Spanien, mit einer Rate von 43,4 Spenden pro Million Einwohner. Selbst Lettland hat mit einer Gesamteinwohnerzahl von 1,69 Millionen eine Spenderrate von 21 pmp.[3] Deutschland muss die benötigten Organe importieren.
Über 10.000 Menschen sind aktuell auf der Warteliste für Organe registriert und kämpfen jeden Tag mit der Angst um das eigene Leben. Einen Platz auf der Warteliste regelt das Transplantationsgesetz und die ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer legt die Kriterien für die Aufnahme fest, wo man über die Risiken, Erfolgsaussichten und längerfristigen medizinischen, sozialen und psychischen Auswirkungen einer Transplantation aufgeklärt wird. Das sogenannte Patientenprofil wird dann in der Vermittlungsstelle Eurotransplant registriert.
Die momentane Diskrepanz zwischen den verfügbaren Organen und der sich in der Notlage befindenden Menschen ist aber so hoch, dass jeden Tag drei Menschen sterben, weil kein entsprechendes Organ rechtzeitig zur Verfügung steht.[4] Ebenso viele Menschen sind auf Grund der mangelnden Verfügbarkeit auf teure Therapien angewiesen, wie zum Beispiel der Dialyse. Diese Menschen sind nicht nur durch Schmerzen und andere Leitsymptome beeinträchtigt, sondern kämpfen ständig mit der Angst um ihr Leben.
Doch wie machen es die anderen Länder in Europa?
Ganz klar - anderes Gesetz und andere Organisation.
Während Deutschland mit der Entscheidungslösung das Geld zum Fenster raus wirft, fahren die meisten Länder in dem Zug der Widerspruchslösung mit. Das Prinzip ist ganz einfach und nicht viel anders, als die Entscheidungslösung. Nur das Du potenzieller Organspender bist, wenn Du nicht widersprochen hast. Natürlich wirst Du dann nicht sofort ausgeschlachtet - selbst wenn Du Dich nicht dazu geäußert hast, können Deine Nahestehende das entscheiden. Die Selbstbestimmung soll hier nicht außer Acht gelassen werden.[5]
Aber da liegt meiner Meinung nach der grundlegende Unterschied - denn wenn man schon vom Gesetz her potenzieller Organspender ist, nimmt es viel Hürde und Barrieren ab. Spanien fährt seit 1989 mit dieser Regelung und ist seit dem Pionierreiter in der Organspende, wieso auch die WHO (World Health Organization) 2010 vorschlug, das spanische Modell zum internationalen Standard in der Organspende zu erheben. Niederlande führte die Widerspruchslösung dieses Jahr ebenso ein.
Sich mit der Transplantationsthematik auseinander zu setzen, setzt voraus, sich mit dem eigenen Tod auseinander zu setzen. Die Diskrepanz zwischen den gespendeten Organen und der für die Transplantation benötigten Organe hat sich, trotz vieler Bestrebungen diese Organspendebereitschaft zu erhöhen, nicht verringert. Die mangelnde Bereitschaft, die eigene postmortale Spendenbereitschaft zu Lebzeiten zu dokumentieren, ist eine wesentliche Ursache für den Organmangel.[6] So befürwortete schon der 113. Deutsche Ärztetag[7] eine zeitnahe, neue gesetzliche Regelung im Sinne der Widerspruchslösung. Die Widerspruchslösung ließe sich nur dann verfassungskonform und rechtlich festlegen, wenn die Gewährleistung besteht, dass jeder Einzelne in der Lage ist, das Selbstbestimmungsrecht auszuüben.
Aus der ethischen Sicht bestehen Möglichkeiten des Heilens und des Helfens, die auszuschöpfen wären. Diese Hilfsbereitschaft verdient dementsprechend Anerkennung und Hochschätzung, welche mit dem Gebot der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit einhergeht. Zudem muss respektiert und geachtet werden, dass dem Leichnam Pietät und Ehrfurcht geschuldet wird. Respektiert werden müssen auch die Angehörigen und deren Recht und Wille, um einen angemessen Abschied zu ermöglichen, unter dem Einbezug der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Organspende. Dabei spielt die Akzeptanz der Entscheidung der Angehörigen - im Falle einer Widerspruchslösung - egal welche Entscheidung getroffen wurde, eine maßgeblich wichtige Rolle, um das Vertrauen in die Transplantationsmedizin zu stärken und zu fördern.
Denn jeder öffentliche Konflikt mit den Hinterbliebenen könnte das Transplantationssystem negativ darstellen.
Sowohl die Urteilsfähigkeit als auch die Entscheidungsfindung ist bei der Verfügungsfähigkeit über den Körper eine Herausforderung. Darum ist die Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Leben ein wichtiger Punkt dabei. Denn ist man sich dessen bewusst, dass die Spende eines Organs für ein neues Leben sorgen kann - und das auch mit Einbezug im Falle eigener Betroffenheit - so fördert es die Urteilsbildung, selbst wenn es dabei keiner moralischen Pflicht unterliegt.
Damit muss die Organspende aus ethischer Sicht weiterhin ein Akt der Gabe sein, die über keinerlei rechtlichen oder moralischen Nötigungen steht. Die seit 2012 geltende Entscheidungslösung setzt auf die autonome Urteils- und Willensbildung.[8]
In der Aufklärung zur Organ- und Gewebespende in Deutschland „Neue Wege in der Gesundheitskommunikation“ der BZgA aus dem Jahr 2012 wird unter dem Punkt „Strategieempfehlung“ geschrieben, dass die generelle Meinung zur Organspende bereits positiv sei und kaum ausgebaut werden müsse. Zweitens sei eine positive Einstellung kaum eine ausreichende Voraussetzung, sich für die Organspende zu entscheiden. Entscheidend sei viel mehr, auf Wünsche und Bedürfnisse einzugehen und Transparenz in den Spendenprozess zu vermitteln.[9]
Zu der Argumentation, dass in Ländern mit Widerspruchslösung die Spenderzahlen deutlich höher sind, äußert die BZgA, dass eine Kausalität nicht belegt ist. Ebenso ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, dass die hohen Spenderzahlen Spaniens nicht allein auf die dort geltende Widerspruchsregelung zurückzuführen ist und hält die Einführung der Widerspruchslösung für ein nicht geeignetes Mittel, die Spenderquote zu erhöhen.[10]
Dennoch neigt die Natur des Menschen eher dazu, die Gegebenheiten zu akzeptieren, als in das Geschehen aktiv einzugreifen.
Verfolgt man diese Theorie, dann wären Angehörige eher bereit, die geltende gesetzliche Norm zu akzeptieren, als der Organspende aktiv zu widersprechen, wenn ein fehlender Widerspruch des Spenders eine Zustimmung bedeutet. Diese Annahme ist jedoch wissenschaftlich nicht belegt.
Die Gesetzesänderung und der sogenannte Organspendeskandal (Göttingen 2012: Manipulation der Patientenakte zu Gunsten einer besseren Platzierung auf der Warteliste) haben zu einer erhöhten medialen Sichtbarkeit der Organspende geführt. Verbunden ist dies zu einem damit, dass man die Entscheidungslösung einführte, mit dem Ziel die Bevölkerung durch Informationskampagnen verstärkt aufzuklären. Zum anderen sorgte es auch für eine selten zuvor dagewesene Transparenz durch Berichterstattungen des Transplantationssystems. Das Niveau der deutschen Spenderrate ist dennoch geringer als die Spenderrate Spaniens 1989.
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Das Gesetz regelt die Spende, die Entnahme, die Vermittlung sowie die Übertragung von Organen und Geweben. Die Schnittstellen sind ebenso gesetzlich vorgegeben. Für eine Spende nach dem Tod gilt - zu der klaren Entscheidung dieser Person - auch die Voraussetzung einer Feststellung unumkehrbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktionen wofür ein Hirntod-Konzept ausgearbeitet wurde mit exakten Richtlinien und verpflichtenden Entscheidungsgrundlagen.
Die Organe müssen aber auch brauchbar sein. Zudem müssen übertragbare Krankheiten ausgeschlossen sein. Ist so ein Fall vorhanden, muss das an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gemeldet werden. Das ist eine bundesweite Koordinierungsstelle für Organspende und sorgt für eine schnelle Vermittlung zwischen Spenderorgan und einem schwerkranken Menschen auf der Warteliste.
Anschließend übermittelt die DSO alle medizinisch relevanten Daten des Spenders an die Stiftung Eurotransplant, wo der passende Empfänger auf der Warteliste von acht europäischen Ländern. Seit dem Jahr 2000 gehört Deutschland zum Einzugsgebiet von Eurotransplant (Sitz in Niederlande) für Deutschland einen verantwortungsvollen Posten und die basiert dabei ausschließlich auf medizinischen und ethischen Gesichtspunkten. Sie zielt auf eine gerechte Vermittlung auf der Basis von objektiv medizinischen Kriterien. Dabei berücksichtig Eurotransplant die gesetzlichen Vorlagen der beteiligten Länder. Im Vordergrund der Vermittlung stehen aber Erfolgsaussicht und Dringlichkeit.
Mit Hilfe eines komplexen Computeralgorithmus und eines Allokationsentwicklungsprozesses - in dem Daten dauerhaft analysiert und kontrolliert werden, um eine optimale Übereinstimmung bei der Organsuche sicherzustellen und zu garantieren - wird eine Matchliste bestimmt und damit können pro Jahr ca. 7000 Organe erfolgreich vermittelt werden. Der Rangordnung entsprechend werden dann den Transplantationszentren (in Deutschland 46 Kliniken mit dieser Zulassung) die verfügbaren Organe angeboten. Ein Transplantationsbeauftragter (2016 waren es über 1.714) kontrollier die Pflichten, Zuständigkeiten und Handlungsabläufe der Transplantation und betreut Patient, Angehörige und Personal. Zudem sind die Transplantationszentren und Transplantationsbeauftragte verpflichtet, eine lückenlose Rückverfolgung der Organe vom Empfänger zum Spender zu ermöglichen und jede Organübertragung unverzüglich zu dokumentieren.[11]
Wie? Hirntod?
Grob beschrieben heißt das, dass Dein Gehirn auf Grund von Sauerstoffmangel völlig funktionsunfähig ist und auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Meist reichen schon wenige Minuten ohne Sauerstoff, was dem Gehirn dauerhafte Schädigung zufügen kann oder zu einem kompletten, irreversiblen Ausfall der Gehirnfunktionen (Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstammes) führt.
Oder wie es die Bundesärztekammer definiert: „Der Organismus ist tot, wenn die Einzelfunktionen seiner Organe und Systeme sowie ihre Wechselbeziehungen unwiderruflich nicht mehr zur übergeordneten Einheit des Lebewesens in seiner funktionellen Ganzheit zusammengefasst und unwiderruflich nicht mehr von ihr gesteuert werden. Dieser Zustand ist mit dem Tod des gesamten Gehirns eingetreten.“
Für einen hirntoten Menschen bedeutet das, dass er nicht selbstständig atmen kann. Ohne maschinelle Beatmung würden Herz und Kreislauf zum Stillstand kommen und damit unweigerlich zum Tod des Menschen führen. Die Diagnose Hirntod stellt, nach dem aktuellen Stand der Medizin, den Tod eines Patienten eindeutig fest.[12]
Kritik am ganzen Hirntod
Wie oben erwähnt, gilt in Deutschland das Hirntod-Konzept. Da es sich dabei um Leben und Tod handelt, gibt es verschiedene Kritiken daran aber auch Befürworter.
- Kritikpunkt 1: Der Apnoe-Test
Hierbei wird der Patient zunächst über mehrere Minuten mit reinem Sauerstoff versorgt, anschließend wird der Gasaustausch so stark gedrosselt, dass das Kohlendioxid im Blut stark ansteigt. Um festzustellen, ob der Patient danach selbstständig atmen kann, stellt man das Beatmungsgerät ab. Stell der Arzt keine spontane Atmung fest, ist das der Nachweis für den Verlust der Fähigkeit zur Eigenatmung.
Dieses Verfahren wird oft als unethisch dargestellt, da, wie der hippokratischer Eid besagt, die Pflicht eines Arztes darin besteht, den Patienten „vor Schädigung und Unrecht zu bewahren“. Steigt das Kohlendioxid im Blut zu stark an, dann wirkt es im Körper, vor allem aber auf das Herz, wie ein Gift. Die Auswirkung: Die Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff wird erschwert und kann sogar zum vollständigen Erliegen kommen. Kommt es bei einem gesunden Menschen zu einer zu hohen Co2-Konzentration im Körper, kann das zu einer Co2-Narkose führen, welche Atemstillstand und damit auch dem Tode zu Folge hat.
Die Kritik an dem Apnoe-Test: Zum einen kann das Verfahren den Ausfall der Spontanatmung nicht zweifelsfrei nachweisen, denn eine starke Hirnschädigung kann auch nur zur einer vorübergehenden Lähmung der eigenständigen Atmung führen und zum anderen gibt es keine allgemein anerkannten Werte nach denen man sich richten kann.[13]
- Kritikpunkt 2: Nur als Vorbehalt für Organentnahme
Ein weiterer Kritikpunkt, der erstmals im September 1968 von dem Technikphilosophen Hans Jonas erhoben wurde, ist die Behauptung, dass der Hirntod dem Tod des Menschen gleichgesetzt wurde, um die Bedingungen für erfolgreiche Transplantationen von Organen zu begünstigen.Aspekte dieses Kritikpunktes sind unter anderem der juristische Schutz der Ärzte sowie die Beschaffung von Organen.
Für die Organentnahme ist der Hirntod als definiertes Kriterium in so weit wichtig, damit Ärzte von der Befürchtung entlastet werden, bei der Entnahme von Organen einen Menschen getötet zu haben. Juristisch ist es entscheidend, ob jemand als tot gilt - und nicht, ob jemand tatsächlich tot ist. Dies zeigt ganz klar, dass das Kriterium Hirntod notwendig ist, auch wenn keine vollständige Sicherheit darüber besteht, dass der Patient tatsächlich tot ist.[14]
- Kritikpunkt 3: Schmerz
Beim Schmerzempfinden, bei einem für hirntot erklärten Menschen, gehen die Meinungen auseinander. Einige Ärzte bezweifeln, dass es tatsächlich keine Schmerzen gäbe. Es gibt Forschungsergebnisse, welche besagen, dass das Gehirn nach der Diagnose Hirntod noch in der Lage war, Temperaturen und Urinausscheidungen zu regulieren und auf Infektion zu reagieren. Die mit Messinstrumenten aufgenommenen Daten zeigten sogar Reaktionen auf Schmerz.[15]
Wie tot ein Hirntoter wirklich ist, wird man vorerst wohl nicht sagen können. Befürworter der Hirntod-Theorie sind aber davon überzeugt, dass durch die erloschene Gesamtfunktion des Gehirns keine Schmerzempfindungen mehr möglich sind. Die Rückkehr eines Patienten, der sich im irreversiblen Koma befindet, in ein bewusstes Leben kann - bei aktuellem medizinischen Stand - ausgeschlossen werden.
Der Mediziner Henry K. Beecher sagte einmal: „Die Gesellschaft könne es sich nicht leisten, die Gewebe und Organe unheilbarer, bewusstloser Patienten ́wegzuwerfen`, da diese dringend für Studium und Versuche benötigt würden, um andere sonst hoffnungslos Kranke damit retten zu können.“ Daraus schlussfolgernd besteht eine Notwendigkeit darin, den irreversiblen Status, in dem das Gehirn nicht weiter funktionsfähig ist, zu benennen. Trotz der Funktionsunfähigkeit des Gehirns sind andere Organe noch nützlich, um damit Menschenleben zu retten.[16]
Ein Faktum
Allein von 10.107 auf der Warteliste stehenden, schwerst kranken Menschen warten 7.562 auf eine Niere. Die häufigste Ursache für solch eine benötigte Nierentransplantation ist eine chronische Nierenerkrankung, die am meisten durch Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) oder durch langjährigen Bluthochdruck (Hypertonie) entsteht und sich langsam, meist über Jahre entwickelt.
Die dadurch entstandenen Schäden bilden sich in den meisten Fällen nicht mehr zurück. Wenn die Niere endgültig versagt, so muss die Funktion ersetzt werden und das durch die Transplantation einer Spenderniere. Da aber die Nachfrage höher ist als das Angebot, wird die Funktion der Niere durch eine Blutwäsche (Dialyse) aufrechterhalten. Dabei wird die wohl bekannteste Funktion der Niere ersetzt und zwar die Filterfunktion. Abfallstoffe, die in einer hohen Konzentration schädlich sind (Harnstoff und Kreatinin), werden aus dem Körper durch die Nieren gefiltert und über das Abfallprodukt Harn abtransportiert. Das gereinigte Blut fließt wieder in den Körperkreislauf.
Bei der Dialyse kommt ein künstlicher Filter zum Einsatz, in dem das mit Giftstoffen beladene Blut mit einer Waschlösung vermischt wird und die schädlichen Abfallprodukte zusammen mit dem überschüssigen Wasser aus dem Körper entfernt werden. Dieser Vorgang wird dreimal pro Woche für jeweils vier bis sechs Stunden durchgeführt. Viel Zeit, viel Einschränkung und wenig Lebensqualität! Im Jahre 2016 wurden 77.219 Menschen mit chronischer Niereninsuffizienz ambulant in ca. 730 Dialyse-Einrichtungen behandelt.[17]
Die Ausgaben für Dialyse lagen im Jahr 2017 bei 2,19 Mrd. Euro zu denen noch Behandlungskosten dazugerechnet werden müssen.[18]
Mein Senf dazu
In unserem Land weiß jeder Mensch, dass, wenn er ärztliche Hilfe benötigt, diese auch bekommt. Dennoch bestehen zum Teil große Unterschiede in der Art und Weise der medizinischen Versorgung. Man denke nur an das Problem der 2- Klassen-Medizin, welches in der Öffentlichkeit umstritten und großflächig diskutiert wird. Auch existieren große Widersprüche zwischen exorbitanten Überschuss an Einnahmen der Krankenkassen und extremen Mangel an medizinischen- und Pflegepersonal. Diese Widersprüche spiegeln sich auch in der Situation der Organspendebereitschaft in Deutschland wider.
Selbst wenn die Reform des Transplantationsgesetztes von 2012 keine Lösung für den bereits schon damals herrschenden Mangel an Organen war, ist es durchaus möglich, eine erneute gesetzliche Änderung in Form der Einführung einer Widerspruchslösung herbeizuführen. Dies könnte zumindest dem Problem entgegenwirken, dass sich die Menschen kaum mit dem Thema Organspende und Tod auseinandersetzen. Die freie Entscheidung bleibt dennoch gegeben.
Die vielen, teuren Aufklärungskampagnen sind meiner Meinung nach umstritten. Es wurde teilweise auch deutlich, dass sie zunehmend aufdringlicher gestaltet wurden. und mir stellt sich die Frage, ob die dafür verbrauchten finanziellen Ressourcen nicht anderweitig einsetzbar gewesen wären und ebenso zukünftig diese Überlegung sinnvoller wäre. Es wären sicherlich einige strukturelle Veränderungen geboten. Zum Beispiel die Lücke im System zu füllen, welche die kleineren Entnahmekrankenhäuser betrifft, die über nicht ausreichende Kapazitäten verfügen, um eine Organentnahme durchzuführen, oder gar auch eine mögliche Organspende erkennen.
Über den möglichen, eigenen Tod zu sprechen, und was mit einem nach dem Tod geschehen soll, ist verständlicherweise sehr schwierig. In dem man den Menschen einen Teil der Verantwortung abnimmt, könnten Möglichkeiten geschaffen werden, die Anzahl der Organspenden zu erhöhen. Die Einführung der Widerspruchslösung wäre solch eine Möglichkeit.
Organspende ist zum Einen eine absolut private Angelegenheit, andererseits betrifft sie die gesamte Gesellschaft.
Doch fraglich bleibt weiterhin, wie die Fürsorge für den Nächsten als Teil des Lebens fungieren soll, in einer Gesellschaft, die zunehmend eine Veränderung der Werte aufweist und Ökonomie und Ethik sich konträr entwickeln könnten.
Offenkundig ist ebenso, dass die politische Gesinnung aus einem eher egozentrischen Prinzip agiert, was anhand der vergangenen Wahlen ersichtlich ist.
Um Gutes zu tun, und dazu gehören Organspenden, brauchen Menschen nicht nur finanzielle Anreize, sondern auch Vorbilder, die nicht nur Gesetze erlassen, sondern auch nach diesen Gesetzen handeln und verantwortungsbewusstes Handeln vorleben. Allerspätestens, wenn die Medizintechnik ihren Stand soweit erreicht hat, dass die künstlich gezüchteten Organe aus der Petrischale in einen menschlichen Körper transplantierbar sind, wird die Transplantationsmedizin revolutioniert und das Thema Organmangel wird dann zukünftig der Vergangenheit angehören.
Quellen und Literatur
[2] "Krise der Organspende" - Anspruch Analyse und Kritik aktueller Aufklärungsbemühungen im Kontext der postmortalen Organspende in Deutschland“ (Hrsg. Esser, Kahl, Kersting, Schäfer, Weber 2018)
[3] Statistik
[4] Deutsche Stiftung
Organspende „Jahresbericht Organspende und Transplantation in Deutschland 2016,“ DSO
[5] Entscheidungslösung
[6] Breyer F. et al. 2016 S.117
[7] Vgl. BÄK, „Optimierung der Organspende“
[8]Vgl. Nationaler Ethikrat 2007
[9] Vgl. BZgA „Aufklärung zur Organ- und Gewebespende in Deutschland: Neue Wege in der Gesundheitskommunikation (2012)“, S. 66
[10] Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10854
[11]siehe DSO und Euroransplant
[12] Vgl. BZgA, „Der unumkehrbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen (Hirntod) als Voraussetzung zur Organspende“ & Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer, „Der endgültige Ausfall der gesamten Hirnfunktion als sicheres Todeszeichen“, BÄK, S. 1
[13] Vgl. Rehder, S., „Grauzone Hirntod“, S.60-64
[14] Vgl. Rehder, S., „Grauzone Hirntod“ Kapitel 7 / Vgl. Müller, T., „Hirntod ist nicht gleich Tod“, Ärztezeitung
[15] Vgl. „Hirntote reagieren möglicherweise auf Schmerz“ in Süddeutsche Zeitung
[16] Vgl. Rehder, S., „Grauzone Hirntod“, S.36
[17] Vgl. Gemeinsamer Bundesausschuss, „Jahresbericht 2016 zur Qualität in der Dialyse“, S. 4 + Anlage 2
[18] Vgl. GKV-Spitzenverband, „Kennzahlen der gesetzlichen Krankenversicherung“
Vielmals Danke für Deine Zeitinvestition in meinen ausführlichen Artikel! Über Resteem würde ich mich freuen, denn es kann Jeden treffen. Ebenso sag ich auch zu einem Upvote nicht "Nein" und freue mich über jedes Kommentar (:
PS: Kurze Klarstellung: Ich möchte hiermit niemand rekrutieren oder von eigenen Ansichten/Religionen abbringen, sondern lediglich mit meiner Recherche und meinen Gedanken zum Nachdenken anregen.
Bis bald,
Variola ✾
Bild: © Unsplash / unsplash.com
Hui liebe @variola, sehr schwere Kost zum Abend die man (oder viele) erst einmal verdauen müssen. Soll nicht negativ klingen - ich finde ein sehr guter, fundierter und toller Beitrag der viel Hintergrundwissen vermittelt.
Ich stehe der Organspende witzigerweise auch sehr zwiespältig gegenüber. Zum einen ist es mir tatsächlich relativ Lachs was mit mir nach meinem Ableben passieren wird (im Sinne von "es kann meinetwegen alles ausgebaut werden"), zum anderen aber irgendwie doch nicht.
Frag mich nicht warum, es ist so - ich weiß aber das ich mich da definitiv noch mal mit auseinandersetzen werde.
Was meiner Meinung nach ausschlaggebend hier in Deutschland ist, ist das man sich einfach mit dem Tot nicht auseinandersetzt. Es darf hier keiner sterben, es gehört nicht zum Leben. Das habe ich vielfach im Klinikpraktikum miterlebt - Angehörige bitten darum auf jeden Fall alles zu tun, auch wenn Oma mit 94 im Koma liegt und man sich eigentlich denken kann das der klapperige Körper nicht mehr all zu viel verkraftet. Ich hab da eine andere Ansicht (bekommen), man kennt all die Krankheiten die Leute nur noch dahinsiechen lassen - da muss man vielleicht auch mal froh über einen schönen Tod sein.
Beispiel aus einem Eisatz, Frühjahr, Ende April, Oma und Opa machen Mittagsschlaf, Oma gedenkt für immer liegen zu bleiben. Sonne schien, schöner Tag, Sie sah selig auf Ihrem Sofa aus. Bestes Ableben. So möchte ich auch sterben.
Aber auch da - es darf nicht sein. Da sehe ich das Problem. Die Menschen verdrängen den Tod, egal in welcher Form. Wäre das anders würde man sicher auch über Organspende anders denken können und man könnte sachlich über Gesetzesänderungen diskutieren und vielleicht was ändern.
Solang sich keiner damit beschäftigen will wird es nur verdrängt.
Lieber @altobee, trotzdem Danke, dass Du Dich mit der schweren Kost zu der Uhrzeit auseinandergesetzt hast (: und einen super Kommentar abgegeben hast.
Ja bei dem "Recht auf Tod" ab nem gewissen Alter (und Diagnose) ist schwer aber ich sehe da was Deine Ansicht betrifft eher en Wandel, denn die Angehörigen wollen dem beispielhaft 90-jährigen Opa noch mehr Behandlungen ersparen - ebenso auch Sparen - und das Krankenhaus braucht Geld, also machen sie unnötige Untersuchungen - und da wo es notwendig wäre, eher zu wenig.
Das interessante ist auch, dass man sich damit überhaupt nicht auseinander setzt , solange man selber nicht betroffen ist und im Bekanntenkreis ebenso solche Fälle nicht hat. Dann geht es ja salopp gesagt denjenigen nichts an. Aber die Kehrtwendung kommt dann, wenn man Selbst betroffen ist und ich weiß nicht, wie das Gefühl dann dabei ist zu wissen, dass man sich davor nicht mit Organspende beschäftigt hat.
Es gibt Politiker und Mediziner, die sich ne offene Diskussion darüber sogar wünschen.
Naja gut, mein Klinikpraktikum ist nun auch schon 13/14 Jahre her - dann ist es ja gut wenn man da schon realistischer geworden ist seitens der angehörigen. Das Klinken Geld brauchen ist ja auch schon immer so - da wird ja leider oft Betriebswirtschaftlich herum diagnostiziert. Wird man auch nur durch Aufklärung der Betroffenen und Angehörigen in den Griff kriegen das diese ein Vorhaben kritisch hinterfragen und wissen wollen wozu man was macht und was damit ausgeschlossen werden soll.
Generell sollte halt viel offener damit umgegangen werden. Und vielleicht muss auch ein Wandel in der ganzen Trauerkultur her. In Südamerika wird ja nun offen auf der Straße getanzt wenn jemand verstirbt. Find ich sowieso alles ein bisschen freundlicher wenn man das Reich der Toten etwas positiver sieht. Möglicherweise fällt es dann auch leichter sich Gedanken um den Kadaver für danach zu machen 😂
Das Thema kann in der Tat sehr kontrovers geführt werden und wird leider meist immer sehr schnell emotional. Ich selbst gehöre zu jenen, die grundsätzlich auch denken, dass ein Opt-Out die bessere Lösung ist. Gerade wenn nicht religiöse Gründe dagegen sprechen, gibt es aus meiner Sicht kaum gute Gründe nicht ein Spender zu werden. Wenn ich selbst schon abdanke, warum soll jemand anderen damit nicht eine zweite Chance gegeben werden?
Ich habe einen Spenderausweise dabei und auch in der Patientverfügung entsprechende Regelung. Ein weiter Grund, wieso man sich mit dem Thema befassen sollte und es nicht auf ewig verdrängen sollte. Den man kann durchaus leben ohne in der Lage zu sein Entscheidungen für sich zu treffen. Dann mag es vielleicht besser sein sich eben doch zuvor damit zu befassen und entsprechenden Willen zu regeln ... und vielleicht findet man ja doch ein wenig Freude daran, dass man vielleicht jemanden helfen kann.
Gleiches gilt auch z.B. für Blutspende. Ich gehe regelmäßig dorthin, weil es für mich nur wenig Zeit kostet. Es gibt Leute die sagen: Damit verdienen die Klinken aber eine Menge Geld! Stimmt. Ist mir aber völlig egal, solange das Plasma irgend jemanden zu gute kommt, der sonst vielleicht sterben würde.
Vielen Dank für Dein Kommentar @gammastern! Finde die Einstellung sehr gut. Hast völlig Recht, man kann aber auch behaupten, dass wenn man sich nicht mit der Entscheidung auseinander setzt, ist das unfair den Angehörigen gegenüber, die dann für Einen entscheiden müssen. Es ist, so glaube ich, nicht gerade wirklich ehrenhaft sich selbst vor der Entscheidung zu drücken mit dem Gedanke "die Anderen machen das schon".
Na Blutspende ist ja auch eine Hilfeleistung, die Lob und Wertschätzung gebührt. Genauso wie die Knochenmarkspende. Und ich seh das auch wie Du, ist doch egal wer da Geld dran verdient oder die Warteliste wurde manipuliert - So what? Wenn ich nur noch an den Maschinen hänge, kann es mir ja Wurst sein, Hauptsache ich konnte Menschen zu einer neuen Chance fürs Leben verhelfen.
WOW! Was für ein grandioser Artikel und welch brisantes Thema...
Ich bin zwar schon Organspender, aber ich gebe dir völlig Recht: gerade für Deutschland ist das Ergebnis ein Armutszeugnis...
ich hoffe du erreichst mit diesem Artikel bei Steemit ein paar neue Organspender...
Danke Dir Rebecca!
Find es super, dass Du eine Entscheidung diesbezüglich getroffen hast und dann auch als Spender. Ja also ich bin auch völlig entsetzt, vor allem auch, weil es halt in anderen Ländern um einiges Besser funktioniert.
Hoffe ich auch - und selbst wenn auch keine Organspender - aber sich einfach mal wirklich damit auseinander setzten, was früher oder später eh eintreffen wird.
ich musste da gar nicht lange drüber nachdenken... für den Fall, dass ich in meinem Leben nicht genug Gutes getan habe, dann wenigstens wenn ich nicht mehr bin 😎
dazu passt auch gerade höchstaktuell das Thema des digitalen Nachlasses... @oliverschmid hatte da letztes einen Artikel drüber geschrieben wenn ich mich nicht täusche...
Danke für diesen sehr interessanten Post, der dieses wichtige und schwierige Thema sehr umfassend und ausgewogen behandelt.
Gerade das Thema Hirntod und wie man ihn feststellen kann ist natürlich sehr kontrovers. Niemand will jemanden töten, der eventuell noch zurück kehren könnte, aber es zu 100% auszuschließen ist nicht machbar, da 100% in der Wissenschaft nicht existieren. 99,99% muss dann eben für das Allgemeinwohl als 100% gelten, auch wenn das heißt, dass es jedes 100.000ste Mal einen Lebensfähigen erwischt.
Ich werd' auf jeden Fall verfügen, dass mein Körper wieder verwertet wird. Weißt du, wie die diesbezügliche Rechtslage in Österreich aussieht?
Habe ich sehr gerne gemacht! Danke ebenso!
Ja beim Hirntod streitet man auch um Kaisers Bart. Aber man kann alles noch situationsabhängig, nüchtern und mit gesundem Menschenverstand betrachten und wenn man dann noch kompetentes Personal um sich rum hat und weiß, wo man sich Infos einholen kann, dann ist es möglich auch diese schwere Last einigermaßen angemessen zu überstehen - wenn man denn solch ein Fall hat.
In Österreich gilt die Widerspruchsregelung - d.h. wenn man als Deutscher in Österreich Urlaub macht, sollte man sich - wenn man gegen eine Organspende ist - in ein Widerspruchsregister eintragen lassen. Ansonsten ist man auch dort potenzieller Organspender, wenn man kein Dokument dabei hat.