Österreich: Das System setzte sich durch

in #deutsch2 months ago (edited)

Heute, dem 12.02.2025, sind in Österreich die Regierungsverhandlungen zwischen der FPÖ und der ÖVP gescheitert. Seit den Wahlen im Oktober hat die Alpenrepublik keine Regierung, sondern nur eine Übergangsregierung ohne Mehrheit im Parlament, die vom Außenminister Schallenberg geführt wird.13

Ausgangslage
Bei den Wahlen im Herbst 2024 wurde die schwarz-grüne Koalition schwer abgestraft. Die Kanzlerpartei ÖVP musste ein Minus von 11,2 Prozent & die Grünen eines von 5,7 Prozent hinnehmen. Klarer Wahlsieger war die FPÖ, die mit einem Plus von 12,7 Prozent auf 28,8 Prozent den ersten Platz erreichte. Dass die Bürger durchaus Interesse am politischen Geschehen haben, zeigt auch die um zwei Prozent gestiegene Wahlbeteiligung gegenüber 2019. 77,7 Prozent machten im vergangen Herbst von ihrem Wahlrecht Gebrauch.1
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Bundespräsident erteilt Wahlverlierer den Auftrag zur Regierungsbildung
Erstmals in der Zweiten Republik wurde mit der Usance gebrochen, die stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Kanzler Nehmhammer von der ÖVP wurde von Bundespräsident Van der Bellen mit der Regierungsbildung beauftragt.2
Schwarze und Sozialisten haben eine knappe Mehrheit von einem Mandat. Nehammer entschied sich daher, auch die Neos ins Boot zu holen. Also Verhandlungen zu einer Ampel, die aufgrund der Parteifarben nicht Ampel- sondern Zuckerlkoalition genannt wurde. Anmerkung: Zuckerl ist Österreich eine Bezeichnung für Bobbon. Nach beinahe 100 Tagen Verhandlungen stiegen die Neos aus und Nehammer legte den Auftrag zu einer Bildung einer Regierung zurück.3 Hier muss noch erwähnt werden, dass es von Beginn weg Kritik an dieser eigenwilligen Entscheidung des Bundespräsidenten gab. Verständlicherweise nicht nur von der FPÖ, sondern auch von Teilen der ÖVP und auch SPÖ. Kein Blatt nahm sich z. B. der Landeshauptmann der Steiermark, Christopher Dexler, vor den Mund, der in dieser Zeit gerade im Wahlkampf in seinem Bundesland war. Auch am Wahlabend, als feststand, dass er und seine ÖVP den Landeshauptmann in der Steiermark verloren haben.4,5

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Kickl ist am Zug
Dem Bundespräsidenten blieb nun nichts anderes übrig, als den Wahlsieger, Herbert Kickl, mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Dieser Auftrag erfolgte am 6. Jänner dieses Jahres. 6

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Die Startbedingungen waren allerdings eher als suboptimal zu bezeichnen. Kanzler und Parteichef der ÖVP, Karl Nehammer, der im Wahlkampf versprach, keine Koalition mit der FPÖ unter Kickl eingehen zu wollen, machte sein Versprechen wahr und zog sich völlig aus dem Nationalrat zurück.8 Neuer Parteichef und somit Verhandlungsführer der ÖVP mit Kickl wurde der bis jetzt tätige Klubobmann Christina Stocker. Dieser war aber als ebenso scharfer Kritiker von Herbert Kickl bekannt. Nicht nur im Wahlkampf, sondern auch nach der Wahl. Im Parlament verstieg er sich sogar gegenüber Kickl zu der Aussage; »Es will Sie niemand in diesem Haus!« 9 Und das, obwohl die FPÖ nun als stärkste Partei im Parlament saß und die ÖVP abgestraft wurde.

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Diese Verhandlungen waren auch von Störfeuern aus dem Ausland geprägt. Besonders von Seiten der EVP wurde Druck auf die ÖVP ausgeübt, keine Koalition mit der FPÖ einzugehen. 10,11 Von dem abgesehen, ist die ÖVP alles als geschlossen in dieser Frage. Grob gesprochen hat man in der Partei zwei Lager: Industriellenvereinigung und Bauernbund sind für eine Regierung mit den Freiheitlichen. Das alte Regierungslager um Nehammer und die VP-Landesorganisationen sind dagegen. Vor allem auch der einflussreiche ÖAAB (Arbeitnehmerorganisation der ÖVP) ist dagegen.

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Auch wenn es vordergründig um das Innenministerium ging, das seit 2000, mit der kurzen Unterbrechung von knapp 2 Jahren durch Kickl, von der ÖVP geführt wird, liegen die Gründe viel tiefer. Die ÖVP fürchtete sich nicht ganz zu Unrecht, unter einer Kanzlerschaft Kickls erheblich an Macht einzubüßen. Es ging letztlich um eine Systemfrage. Und so verwundert es nicht, dass die Verhandlungen am Ende auch scheiterten. Hier die Erklärung von Herbert Kickl an den Bundespräsidenten:

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Man darf gespannt sein, für welche Variante sich der als parteiisch kritisierte Bundespräsident nun entscheiden wird.

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U.a. verwendete Quellen:
1)https://www.bmi.gv.at/412/Nationalratswahlen/Nationalratswahl_2024/start.aspx
2)https://orf.at/stories/3373551/
3)https://www.diepresse.com/19222322/neos-lassen-dreierkoalition-platzen-es-konnte-kein-durchbruch-erzielt-werden
4)https://www.krone.at/3568036
5)https://www.derstandard.at/story/3000000246269/steiermark-wahl-oevp-gibt-van-der-bellen-schuld-an-schlechtem-ergebnis
6)https://www.salzburg24.at/news/oesterreich/van-der-bellen-beauftragt-kickl-mit-regierungsbildung-er-will-diese-verantwortung-171232573
7)https://www.diepresse.com/19228290/es-braucht-sie-keiner-was-sich-stocker-und-kickl-gegenseitig-ausrichteten
8)https://kurier.at/politik/inland/nehammer-ruecktritt-oevp-chef-bundeskanzler-oevp-volkspartei-nationalrat-mandat-parlament/402997297
9)

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Hier die Erklärung von Herbert Kickl zum Aus der Verhandlungen.