5. Trockenschwimmen
Wie bereits erwähnt – es gibt so einige Tricks, die man nutzen kann, um um eine erfolgreiche Kommunikation herum zu kommen.
Kluge Leute haben sich seit ca. 80 Jahren mit diesem Thema befasst und herausgekommen sind – Modelle. Wieder mal…
Diese Modelle sind in der reinen Theorie etwas trocken, haben aber den unbestreitbaren Vorteil, ein helles Licht in das dunkle Unterholz des Kommunikationswaldes zu tragen. Nun denn.
In der Logik des Ablaufes der Kommunikation betrachtet ist das erste der beiden Modelle das der Transformationsgrammatik, entwickelt von Noam Chomski. Es beschreibt den Weg von der Erzeugung der Tiefenstruktur und der Transformation selbiger zur Oberflächenstruktur (ihr erinnert euch?).
Die Tiefenstruktur ist – vom Sprecher aus gesehen – Alles das, was man eigentlich sagen möchte und gedanklich vorformuliert, die Oberflächenstruktur ist grob gesprochen das, was man tatsächlich sagt.
Es dreht sich also zunächst um den Prozess der Erzeugung eines umfangreichen Textinhaltes aus den vorhandenen gedanklichen Strukturen und anschließend den Prozess der Transformation, des Eindampfens und Modifizierens der Tiefenstruktur, so dass am Ende dieses Prozesses die Oberflächenstruktur als Ergebnis erscheint.
Die Transformationsgrammatik beschreibt diesen Gesamtprozess und liefert als Ergebnis die Tiefen- und die Oberflächenstruktur.
Anschließend wird durch den Prozess der sogenannten Derivation die beim Hörer angekommene Oberflächenstruktur nach den selben Regeln interpretiert und in die (wahrscheinliche) Tiefenstruktur überführt. Sollte der Inhalt der Tiefenstruktur dem Hörer nicht plausibel vorkommen, erfolgt über die Transderivationale Suche (!) ein Forschen in den tiefer liegenden Erfahrungen nach dem eventuellen Sinn des Gehörten. Dies ist der Moment,in dem beim Hörenden ein ungläubiger oder verwirrter Gesichtsausdruck zu erkennen ist.
Das Interessante an diesem Modell der Transformationsgrammatik ist die Annahme, dass jedem in der Oberflächenstruktur (dem gesprochenen) enthaltenen Satz ein entsprechender, viel ausführlicherer Satz in der Tiefenstruktur entspricht, der all die Informationen enthält, die in der Oberflächenstruktur nicht mehr enthalten sind, da die Sätze der Tiefenstruktur viel zu umfangreich sind, um im Rahmen eines Gespräches Formuliert werden zu können.
Noch interessanter ist, dass die Tiefenstrukturen auch Dinge enthalten, die selbst der Sprecher nicht bewusst wahrnimmt und über verschiedene Mechanismen ausblendet und verändert.
Am interessantesten ist allerdings, dass es Möglichkeiten gibt, über bestimmte Werkzeuge an die Inhalte der Tiefenstruktur zu gelangen.
Eines dieser sprachlichen Werkzeuge ist das zweite Modell:
Die Rede ist vom sogenannten Metamodell der Sprache, einem enorm effizienten Werkzeug zur Klärung von Hindernissen in der Kommunikation.
Das Metamodell beschreibt den Weg von der Tiefenstruktur unter dem Einsatz der Gestaltungsprozesse Generalisierung, Tilgung und Verzerrung.
Das hört sich erstmal ziemlich kompliziert an (ist es auch, wenn man die Prozesse aufdröselt), ist aber andererseits nicht zu kompliziert, um diese Gestaltungsprozesse immerwährend und jederzeit einzusetzen. Genau das passiert nämlich jedes Mal, wenn wir etwas sagen.
Es dreht sich in diesem Modell also lediglich darum, etwas zu erklären, was wir andauernd tun.
Noch einmal zur Verdeutlichung: Aus der Tiefenstruktur wird durch einen Transformationsprozess unter Einsatz von Verallgemeinerung, Tilgung und Verzerrung die Oberflächenstruktur generiert, diese wird übermittelt und vom Hörenden durch den Prozess der Derivation wieder in eine Tiefenstruktur interpretiert.
Wenn der Hörende nun nicht die selben Erfahrungen gemacht, nicht die selben Erkenntnisse gewonnen hat, wird der Prozess der Derivation mit ziemlicher Sicherheit aus der Oberflächenstruktur nicht die selbe Tiefenstruktur generieren, wie sie beim Sprecher vorhanden war.
Oder – auf Deutsch: Man redet gepflegt aneinander vorbei.
Was bedeutet dies in der Praxis? Oder anders gefragt: Wann kommt es vor, dass zwei Menschen einen zumindest sehr ähnlichen Erfahrungs- und Erlebnishorizont besitzen? Wohl eher selten, es sei den, man kennt sich schon lange.
Worum dreht es sich genau?
Es dreht sich einerseits um die Anwendung sprachlicher Mittel durch den Sprecher um Sprache zu verkürzen, zu modifizieren oder Inhalte zu verstecken , andererseits dreht es sich um die Möglichkeit für dem Empfänger, genau diese Veränderungen zu erkennen, zu hinterfragen und aufzulösen.
Dem Empfänger fallen– bei genauerem Hinhören – die Fehlgeformtheiten, also die Veränderungen, Brüche, Verallgemeinerungen und Auslassungen auf, diese Auffälligkeiten bezeichnet man als Metamodellverletzungen. Es handelt sich hierbei um offensichtliche, also erkennbare Abweichungen der Oberflächenstruktur, also dem gesprochenen, von der zugrunde liegenden Tiefenstruktur.
Es existieren 3 Kategorien von sprachlichen Fehlgeformtheiten in der Oberflächenstruktur:
Generalisierung (Verlust von Details, Schubladendenken)
Beispiel: „Immer, wenn ich frei habe, ist das Wetter schlecht oder ich werde krank“ (Wirklich immer, an jedem freien Tag?)Verzerrung (Nominalisierungen, unvollständig spezifizierte Verben, Unterstellungen, Gedanken lesen),
Beispiel: „Durch die ständigen Überschreitungen meiner persönlichen Distanz werde ich immer ängstlicher“ (Wer überschreitet, von wem oder wovon distanzierst du dich, worin besteht deine Angst?)Tilgung (unvollständige oder fehlende Erfahrungen)
Beispiel: „Ich habe zu wenig Zeit“ (Wofür hast du zu wenig Zeit?)
Innerhalb dieser Kategorien sind weitere Unterscheidungen möglich.
Beliebte Metamodellverletzungen sind folgende:
Nominalisierung (auf welche Art und Weise?) Jedes Substantiv, das nicht auf eine Schubkarre geladen werden kann ist eine Nominalisierung. Ein Verb wird in ein Substantiv verwandelt
Beispiele: Überlastung (wer wird wodurch überlastet?), Kommunikation (wer kommuniziert mit wem?),- Unspezifischer Inhaltsbezug (wer oder was genau?)
Das Geschnetzelte war lecker. Wer oder was wurde geschnetzelt?
Die Beleuchtung ist zu dunkel. Was leuchtet?Das Musizieren macht mir Spaß. Womit machst du Musik?Modalverben ( sollen, müssen, können, dürfen) Einengungen im individuellen Modell der Welt. Beispiele: Ich kann meine Situation nicht ändern. (Was genau hält dich davon ab?)
Ich kann, weil ich will, was ich muss (Kant) Was kannst du? Was willst du? Wer zwingt dich dazu?
Du brauchst dich nicht aufzuregen. Was würde passieren wenn ich es täte?
Du kannst dich jetzt entspannen. Was spricht dagegen?
Ich will das nicht aufgeben. Was würdest du verlieren?universelle Quantifizierung, Übergeneralisierung eines Sachverhaltes
Beispiele: keiner versteht mich. (Wirklich keiner?)
Alle Politiker sind korrupt. Wirklich alle Politiker? Gab es nicht einen nicht-korrupten Politiker?
Ärzte verdienen zu viel. Verdienen alle Ärzte zu viel? Gibt es Ärzte, die zu wenig verdienen?Vergleich
Beispiele: Meine Schwester ist hübscher...(Verglichen womit, mit wem)
Ich könnte schneller lernen. Schneller als wer? Wie könntest du schneller lernen?
Früher hatte ich mehr Zeit. Wofür hattest du mehr Zeit? Wieviel mehr Zeit hattest du? Verglichen mit welchem Zeitpunkt hast du weniger Zeit?
Für den täglichen Gebrauch ist es nicht wirklich wichtig, die genaue Systematik des Metamodells und der Metamodellverletzungen zu kennen – entscheidend ist das Wissen um die Existenz dieses Modells und dessen Gebrauch in der Kommunikation.
Was kann ich damit nun anfangen?
Nun, zuerst mal macht es Spaß, die üblichen Protagonisten des Missbrauchs dieser Erkenntnisse zu erkennen. Wenn jeder Mensch vor den TV-Geräten dieses Wissen besäße, wäre Werbung völlig nutzlos.
Das Gleiche trifft natürlich auch auf die Aussagen unserer Politiker zu. Selbige verbreiten gerne hohle Phrasen, die quasi durch reziproke Anwendung des Metamodells gewonnen wurden. Dazu später noch mehr…
„ Wir schaffen das“ ist ein schönes und kurzes Beispiel:
Wer ist „wir“? Sind es die Politiker? Nein, sicher nicht. Implizit gemeint ist wohl ein „Wir Alle zusammen“ ohne geneu zu bezeichnen, um wen es sich bei dem „Wir“ handelt. Um die Bevölkerung?
„Schaffen“ ist eine schön unscharfe Bezeichnung für eine völlig unbekannte Tätigkeit. Was soll „schaffen“ sein? Man hat etwas geschafft, wenn man sich ziemlich anstrengen musste, es wird Mühe gekostet haben, etwas zu „schaffen“ Wer soll also WAS schaffen und welche Mühen sind dafür notwendig? Kostet das „schaffen“ persönliche Opfer? Wenn ja,worin bestehen diese?
„Das“ ist so unscharf, unschärfer geht es gar nicht mehr. „Das“ ist alles oder nichts. „DAS“ ist die Antwort auf alle Fragen. 42! Aber was ist eigentlich die Frage?
Eine weitere Anwendung dieses Wissens ist die in der täglichen Kommunikation, am ehesten dadurch, dass man genauer hinhört und Verallgemeinerungen, Auslassungen, unpassende Vergleiche erkennt und beginnt, Aussagen zu hinterfragen.
Eine beliebte Art der Verallgemeinerung, gepaart mit Modalverben der Notwendigkeit ist die Verwendung des Wortes „Man“. Möglicherweise tue ich den entsprechenden Menschen Unrecht, aber mir ist aufgefallen, dass vor Allem ehemaliger Bürger der DDR in ihrem täglichen Sprachgebrauch ein Problem damit haben, einfach mal „Ich“ zu sagen. Statt dessen wird „Man“ gesetzt.
Es hört sich nicht nur merkwürdig an, wenn jemand sagt „Man muss jetzt etwas essen“ oder „Man kann sich das nicht leisten“, es ist ziemlich furchtbar. Die anerzogene Verwendung dieses Wortes „Man“ statt „Ich“ hat ganz direkte Auswirkungen auf die eigene Persönlichkeit. Menschen, die Immer (Vorsicht, Generalisierung) „Man“ sagen,stellen ihr Ich hinten an. Diesen Menschen kann man die Verwendung von „Ich“ beibringen und sie werden als Folge einiges in ihrem Leben ändern.
Die Art und Weise der Verwendung von Sprache hat direkte Auswirkungen auf unser Denken und umgekehrt.
Die Umkehrung des Metamodells ergibt übrigens (nun ja, fast) das Milton Modell, welches auf der Grundlage der Arbeiten von Milton H. Erickson entstand und seinerseits nicht nur die Grundlage der entsprechenden klinischen Hypnose darstellt sondern ebenfalls die Grundlage für Politiker-speech, Werbung und schnelle Geschäfte an der Haustür bietet. Es lohnt sich also, genauer über die Modell-Zwillinge nachzudenken.
Interessante Ansichten auf die Alltagssprache beziehungsweise Entpräzisierung unserer deutschen Sprache.
Zum letzten Teil möchte ich noch anführen:
Man kann "man" aber auch als du verwenden. z.B. Man solle nicht vergessen dass man die Verallgemeinerung 'man'auch als du verwenden kann. ( -> Du sollst nicht vergessen dass ...)
In diesem Sinne: Man habe einen schönen Abend!