Leserfrage: Stress in der Anwaltskanzlei
Eine Leserin hat mir geschrieben, weil sie im Moment Probleme in der Anwaltskanzlei hat, in der sie grade arbeitet. Ich habe versucht, ihr mit meiner Erfahrung aus der Unternehmensberatung zu helfen. Mit Ihrer Erlaubnis darf ich ihre Frage (Originaltext leicht bearbeitet) und meine Antwort hier veröffentlichen. Ich hoffe, dass dies vielleicht auch anderen hilft, mit Schwierigkeiten im Berufsleben umzugehen.
Die Leserfrage
"Seit fast einem Jahr arbeite ich als Anwalt in einer Kanzlei. Am Anfang hat es mir auch Spaß gemacht aber mittlerweile ist mir alles zu viel. Es ist eine kleine Kanzlei mit nur 4 Anwälten und einer Teilzeitkraft. Am Nachmittag muss ich immer total viel machen, ich muss fast alle Aufgaben alleine erledigen und die gesamte Mandantenbetreuung übernehmen. Gleichzeitig wird dieser große Arbeitseinsatz von mir überhaupt nicht gewürdigt oder wertgeschätzt. Alle hacken nur auf mir rum.
Die anderen Anwälte sind auch unfreundlich zu mir. Eine Fachanwältin hat mir gesagt, sie hätte keine Lust mehr mich immer zu kontrollieren und findet, sie könnte mir nicht blind vertrauen. Als Kanzlei dürften sie keine Fehler machen.
Vor kurzem gab es eine andere junge Anwältin, die alle total super fanden, ich glaube nur weil sie eine bessere Examensnote hatte als ich. Sie hat immer alles richtig gemacht und ich angeblich nicht. Schon in der Probezeit sei ich negativ aufgefallen. Das stimmt aber alles gar nicht und ist maßlos überzogen. Bei mir war bisher nichts Gravierendes falsch.
Ich fühle mich total ungerecht behandelt. Meine Freunde sagen mir das gleiche und meinen, ich soll so schnell wie möglich wechseln. Wie schätzt du die Situation ein, was soll ich tun?"
Meine Empfehlung
Ich kann gut nachvollziehen, dass diese Situation für dich sehr schwierig und belastend ist ist. Aus meiner Sicht gibt es in deiner jetzigen Situation zwei Probleme, die du für dich nicht vermischen, sondern unabhängig angehen solltest:
1) Kritik an deiner Arbeit
Du schreibst, dass eine Kollegin dir sagte, sie hätte "keine Lust mehr dich zu kontrollieren" und könnte "dir nicht blind vertrauen". Sie sagte auch, dass die Kanzlei sich "keine Fehler erlauben dürfe" und bereits in der Probezeit an dir gezweifelt wurde. Gleichzeitig sagst du, dass du eigentlich nichts Gravierendes falsch gemacht hast. Das passt für mich nicht zusammen, hier scheint deine Selbstwahrnehmung massiv mit der Fremdwahrnehmung deiner Kollegen auseinanderzufallen.
Was antwortest du denn, wenn dir die Kollegin solche Dinge sagt? Du solltest beim nächsten Mal unbedingt genau nachhaken, welche Aufgaben du aus ihrer Sicht nicht zufriedenstellend bearbeitet hast. Wenn an den Punkten auch nur irgendwas dran ist, solltest du die Kritik unbedingt Ernst nehmen und nicht einfach abtun und darauf verweisen, dass es nichts Gravierendes sei.
Wenn du hier nicht ansetzt, ist es sehr wahrscheinlich, dass du auch bei anderen Kanzleien Probleme kriegen wirst. Für Anwälte ist genaues Arbeiten unerlässlich. Du kannst es dir nicht leisten, Fehler zu machen. Was für dich nichts Gravierendes ist, ist für deine Kollegen offenbar sehr gravierend. Als Berufseinsteiger könnte es dir helfen, wenn du dir vorstellst, dass alles was du machst direkt an den Vorstand geht.
2) Du musst insgesamt zu viel machen
Du schreibst, dass du Nachmittags sehr viel zu tun hast und stark in die Mandantenbetreuung eingebunden bist. Als Außenstehender fällt es mir schwer einzuschätzen, was das wirklich bedeutet. Wie sind denn deine Arbeitszeiten, musst du oft Überstunden machen? Wenn die von dir eingeforderten Überstunden jedes vernünftige Maß übersteigen und nicht mehr branchenüblich sind, solltest du versuchen in einem konstruktiven Gespräch mit deinen Kollegen Lösungen zu finden.
Für mich klingt es ein bisschen so, als würde es dich stören, dass du innerhalb deiner Arbeitszeit auch wirklich arbeiten musst. Natürlich wirst du stark in die Mandantenbetreuung eingebunden und musst mit zunehmender Unternehmenszugehörigkeit auch immer mehr Aufgaben in eigener Verantwortung übernehmen. Das ist aus meiner Sicht normal und du solltest dich eher freuen, dass man dir schon so früh solche eigenverantwortlichen Aufgaben gibt. Wichtig ist, dass du für die Bearbeitung auch die Anleitung bekommst, die du benötigst, um die Aufgaben gut erledigen zu können. Ich empfehle dir diese Hilfestellungen aktiv einzufordern, wenn du den Eindruck hast, mit einer Aufgabe alleine nicht zurecht zu kommen.
Als junger Berufseinsteiger ist es natürlich absolut in Ordnung, nicht von Anfang an alles zu können. Lass dir helfen wo nötig - zeige aber auch, dass die Zeit bei dir gut investiert ist und du aus deinen Fehlern lernst. Du solltest es unbedingt vermeiden, den gleichen Fehler zweimal zu machen. Ich hoffe das hilft - dir ganz viel Erfolg bei deinen nächsten Schritten!
Habt ihr eine Frage aus eurem Arbeitsleben oder möchtet meine Meinung zu einem verwandten Thema hören? Schreibt mir, und ich werde versuchen euch zu helfen!