Heil Kaiser Dir!
Unter den Linden
Die Reichstagskuppel ist hell erleuchtet. An diesem Novemberabend stehen die Menschen dicht gedrängt auf der Straße des 17. Juni und Unter den Linden. Das preußische Prinzenpaar ist in lange Mäntel gehüllt und plaudert mit dem BRD-Präsidenten Steinmeier. Der nahende Winter kündigt sich durch den ersten Frost an. Das Quecksilber steht bei minus zwei Grad. Wir schreiben das Jahr 2018 und gedenken der Abdankung des letzten Deutschen Kaisers vor hundert Jahren. Das geschichtliche Urteil über Wilhelm II hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt oder sogar ins Gegenteil verkehrt. Galt er lange Zeit als Kriegstreiber, so stehen heute seine Bemühungen im Vordergrund, die große Katastrophe zu verhindern. Sein Telegramm an Vetter Nicki, den russischen Zaren, erfährt endlich die Aufmerksamkeit, die ihm zukommt.
Aufgrund dieser Neubewertung der deutschen Geschichte ist auch das Prinzenpaar zu der feierlichen Zeremonie eingeladen worden. Über die Frage, ob der Prinz auch sprechen werde, hat es in den vergangenen Wochen die wildesten Spekulationen in den unterschiedlichsten Gazetten und Rundfunksendungen gegeben. Sie gipfelten in der Befürchtung oder Hoffnung - je nach Standpunkt - Seine Hoheit könne bei dieser Gelegenheit Anspruch auf den Thron erheben und die Monarchie ausrufen.
Diese Erwartungen haben eine gewisse Berechtigung. Durch das massive Versagen der Regierung in allen Bereichen zweifeln große Teile des Volkes an der Fähigkeit der Demokratie. Über das baldige Ende des Euro wird in sämtlichen Medien offen spekuliert. Wäre man in England, die Buchmacher würden einen Reibach machen. Kanzlerin Merkel hat zwar eine Wende in der Asyl- und Einwanderungspolitik vollzogen, die ihr niemand zugetraut hätte; genützt hat es ihr und der CDU aber nichts. Der Anschlag auf das Fußball-Stadion hat alles zunichte gemacht. Niemand glaubt mehr daran, dass die Institutionen und Regularien des demokratisch verfassten Staates den selbstgemachten Problemen gewachsen seien. Wir brauchen den starken Mann an der Spitze, aber bitte keinen Führer. So lautet der Tenor vor allem in bürgerlichen Kreisen. Den klassischen Arbeiter gibt es nicht mehr, sonst hätte er sich von der SPD ab- und dem monarchistischen Lager zugewendet. Schon in der Kaiserzeit waren die Arbeiter die treuesten Untertanen. Ihre traurige soziale Lage trieb sie in die Arme der Sozialisten.
Zwar hat der Kronprinz in mehreren öffentlichen Erklärungen derartigen Spekulationen eine Absage erteilt. Er habe keine politischen Ambitionen, betont er immer wieder und wolle um nichts in der Welt Kaiser werden. Aber geschieht das freiwillig oder auf Druck von republikanischen Kreisen? Die Umstände können sich schnell ändern. Was, wenn das Volk ihn ruft? Kann er einfach Nein sagen? Wie vertrüge sich das mit dem preußischen Pflichtgefühl? Oder es gilt, einen neuen Führer zu verhindern. Was dann, Hoheit?
In der anwesenden Menge wird diese Frage in diesem Augenblick ebenfalls diskutiert. „Von diesem Herr brauchen wir nichts zu erwarten“, näselt ein älterer Mann im Lodenmantel. „Er findet seine Erfüllung im Windelwechseln.“ Die Verachtung in seiner Stimme ist deutlich hörbar. So fühlt sich enttäuschte Liebe an.
„Ich weeß nich, ich weeß nich,“ berlinert ein Schnauzbartträger mit einer abgetragenen Lederjacke. „Der Kronprinz der kennt seene Pflichten. Wenn seine Berliner ihn rufen…“
„Schön wäre es ja“, meint ein anderer. „Aber ich glaube nicht daran.“
An diesem Abend sind alle Monarchisten.
„Nun, vielleicht ist alles nur Taktik“, macht der Lodenmann sich und seinen Mitstreitern Hoffnung.
Schloss Hohenzollern, Sigmaringen
Hier im Schwäbischen empfängt der Prinz von Preußen ein Kamerateam der BBC. Gibt das eine neue Hunnenrede?
Zwei Reporter sitzen dem Prinzen gegenüber. Dieser thront in einem samtbezogenen Sessel mit hohen Lehnen, der einem Historienfilm entnommen scheint. Einer der Reporter beugt sich respektvoll vor.
„Your Imperial and Royal Highness“, beginnt er das Gespräch. „Or should I say: Your Majesty?“
Prinz Georg Friedrich wirft lachend den Kopf zurück, wie er das immer tut, wenn er auf die Frage der Anwärterschaft auf den deutschen Kaisertitel angesprochen wird. „Nun, diese Frage stellt sich gerade nicht“, erwidert er auf Deutsch. Das Gespräch ist auch für sein Volk bestimmt.
„Viele Ihrer Landsleute sehen dies anders“, insistiert der Reporter. „Die Schwäche der republikanischen Institutionen, ihre sichtbare Unfähigkeit zu pragmatischen Lösungen. Wir haben mit einfachen Menschen gesprochen, die sich nach der Monarchie sehnen. Wollen Sie diese Menschen enttäuschen, Eure Hoheit?“
„Ich enttäusche ungern meine Mitmenschen, gleich welchen Standes. Aber Sie werden verstehen, dass ich persönliche Befindlichkeiten von wem auch immer nicht zur Richtschnur meines Handelns mache.“
„Ein Kaiser lässt sich seine Entscheidungen nicht von der Straße diktieren.“
Der Prinz lächelt hintergründig. „Wollen Sie eine Monarchie in Deutschland?“
„Warum nicht? Zwischen dem Haus Preußen und dem Haus Windsor bestehen enge Bande.“
„Lassen Sie uns das Thema wechseln.“
„Ich bin untröstlich, Eurer Hoheit lästig zu sein. Aber dieses Thema interessiert meine Zuschauer am meisten.
Wieder dieses Lachen. Er mag die Engländer mehr als er zugeben würde. Kein deutscher Reporter würde ihn mit Hoheit anreden. Sie drücken sich darum, indem sie Prinz von Preußen zu ihm sagen. Das ist keine Anrede, sondern ein Titel, aber die Adelstitel sind ja seit der Weimarer Zeit abgeschafft. Armes, republikanisches Deutschland.
„Ich habe verstanden, dass Sie sich nicht nach dem Thron drängen. Aber könnte es Umstände geben, unter denen Sie diese Bürde tragen würden, weil es Ihre Pflicht ist?“
„Welche Umstände sollten dies sein?“, gibt der Prinz die Frage zurück.
„Wenn Sie damit großes Unheil verhindern könnten: Chaos, Anarchie, Diktatur. Hitler wäre niemals an die Macht gekommen, wenn man Kaiser Wilhelm II nicht zur Abdankung gezwungen hätte.
Wie alle Deutschen, wird der Prinz bei diesem Thema sehr ernst. „Diese Zeit macht mir mehr zu schaffen als alles andere.“
Der Reporter nickt mitfühlend.
„Mein Großvater Prinz Louis Ferdinand hat gesagt, dass wir uns als Familie prostituiert haben. So etwas darf sich niemals wiederholen.“
„Das heißt, unter gewissen Umständen wären Sie bereit…?“
„Ich würde alles, aber auch wirklich alles tun, um das von Ihnen angedeutete Schreckensszenario zu verhindern. Aber lassen Sie uns realistisch bleiben. Mein Volk hat seine Lektion gelernt und wenn Sie auf diese neue Partei anspielen: Sie hat nichts mit der NSDAP zu tun.“
„Welcher Partei stehen Sie am nächsten?“
„Kein Kommentar dazu.“
„Sie sollen mit Leidenschaft Vater sein“, wechselt der BBC-Mann jetzt doch das Thema. „Stimmt es, dass Sie Ihrer jüngsten Tochter selber die Windeln wechseln?“
„Meine Frau und ich wechseln uns bei allen Fragen der Kinderbetreuung ab. Gestern habe ich Windeln gewechselt.“ Der Prinz lächelt wieder.
„Das Haus Preußen reitet ein sehr strenges Hausgesetz, nach dem standesgemäß geheiratet werden muss. Ihr Onkel ist enterbt worden, weil er eine Bürgerliche geheiratet hat. Kann man diese Abgrenzung vom gemeinen Volk nicht auch als eine Strategie zur Sicherung von Herrschaftsansprüchen sehen?“
„Das kann man so sehen.“
„Wie sehen Sie es?“
„Mein zweifacher Urgroßvater Kaiser Wilhelm II war da kategorisch. Eine Ehe zwischen Adeligen und Bürgerlichen war für ihn genauso undenkbar wie zwischen Enten und Schwänen. Aber auch wir müssen mit der Zeit gehen und diskutieren darüber, wie wir das Ganze auf modernere Füße stellen können. Hauptsache, die Familie hält zusammen.“
„Sie würden Ihre Tochter also nicht enterben, wenn sie einen Bürgerlichen…“
„Diese Frage stellt sich aktuell wirklich noch nicht.“ Schallendes Gelächter. „Um das Thema abzuschließen: Wir schauen, wie es andere herrschaftliche Häuser machen und werden unsere Traditionen behutsam überdenken.“
„Unser Prinz William hat Kate geheiratet und die schwedische Kronprinzessin Viktoria ihren Fitnesstrainer. Beide Ehen sind sehr glücklich. In anderen herrschaftlichen Häusern wird also nach Liebe geheiratet und nicht so sehr standesgemäß.“
„Auch ich habe meine Frau aus Liebe geheiratet. Natürlich war ich in der glücklichen Lage, nicht zwischen der Stimme des Herzens und den Anforderungen der Tradition wählen zu müssen. Bei den von Ihnen genannten Beispielen handelt es sich um regierende Häuser. Natürlich macht das protokollarisch keinen Unterschied. Aber dennoch muss unser Haus eventuell mehr auf Tradition halten als etwa das Haus Windsor.“
„Um eine gewisse Exklusivität zu wahren?“
„So könnte man es auch sagen.“
„Eure Kaiserliche Majest… äh Hoheit! Der Präsident der Vereinigten Staaten hat Sie in das Weiße Haus eingeladen. Werden Sie die Einladung annehmen?“
Wieder dieses Lachen.
„Ich habe die Einladung angenommen.“
„Darf ich fragen, ob Sie sich zuvor mit der Bundeskanzlerin oder dem Bundespräsidenten abgestimmt haben?“
„Selbstverständlich.“
„Mit dem Präsidenten, der Kanzlerin oder beiden?“