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RE: Was ist Freiheit für mich?

in #deutsch7 years ago (edited)
Ist die heutige westliche Zivilisation noch auf dem Weg zu mehr Freiheit für das Individuum, oder wird das Rad der Geschichte bereits zurückgedreht?

Ich glaube nicht, daß sich das Rad der Geschichte zurückdreht, sondern, daß es der natürliche Zyklus ist. Ich weiß nicht mehr, wo ich das gelesen habe. Ich glaube es war in Tukydides' "Der peloponnesische Krieg", aber da möchte ich mich jetzt nicht festlegen - ist schon über 20 Jahre her. Darin war die Beschreibung der natürlichen Zyken der Herrschaft zu finden. Man kann im Prinzip anfangen wo man möchte:

Aus der Anarchie wird eine Monarchie, aus der entwickelt sich eine Despotie, die dann von einer Oligarchie abgelöst wird, die sich in eine Demokratie verwandelt, die in eine Pöbelherrschaft übergeht und wieder in der Anarchie endet - bis dann wieder einer kommt und die Sache in die Hand nimmt.

Ganz unabhängig davon, wie man zu dieser Theorie steht, finde ich das Bildnis mit dem Rad, das sich zurückdreht nicht ganz passend, denn in bestimmten Zeiten / Regionen gab es sicherlich zu irgendeinem Zeitpunkt absolute Freiheit bei null Überwachung. Ebenso gab es ganz finstere Zeiten mit Totalüberwachung. Ich weiß beispielsweise nicht, wie es sich angefühlt hat, wenn man um 1440 herum in einem Dreckskaff irgendwo in Süddeutschland gelebt hat und sich die Freiheit nahm, am Sonntag nicht in die Kirche zu gehen.

Don & Alex Tapscott: Die Blockchain-Revolution
Genaugenommen haben sich die Herrschaftsstrukturen nie geändert, sondern nur die Protagonisten. Zu allen Zeiten war es jedoch so, daß eine kleine Minderheit über die große Mehrheit geherrscht hat. Und egal wer diese Minderheit stellte, ob das Herrscherhäuser waren oder ob es der Klerus war, oder ob es die heutigen Seilschaften sind. Es war und ist ein Feudalsystem. Und diese Feudalherren haben ihre Herrschaft immer dadurch ausgeübt, daß sie die Macht über das Geld hatten. Daher glaube ich, daß Kryptowährungen das Potential haben, dieser jahrtausendealten Unsitte ein Ende zu setzen, wenn es auch heute völlig unvorstellbar erscheinen mag. Das gab es vorher nie. Es ist eine neue Erfindung, und wie bei allen Erfindungen kann man nicht vorhersagen, wie sie sich entwickeln wird.

Wir reiten heute nicht mehr auf Pferden durch die Landschaft, doch bis vor etwa 120 Jahren gab es höchstens einige hundert Menschen, die sich überhaupt vorstellen konnten, daß Individualverkehr und Pferde voneinander getrennt werden könnten. Es sprach absolut nichts dafür. Ebenso können sich heute die wenigsten ein Geld ohne Staat vorstellen. Dabei ist das Geld der Hauptgrund, warum es Staaten überhaupt gibt. Es ließe sich das meiste regional und auf freiwilliger Basis viel besser regeln. Eine übergeordnete Koordinierung wäre nur für Großprojekte nötig, aber selbst dafür bräuchte man keinen Staat. Wenn es möglich ist, ein weltweites Netz so zu koordinieren, daß Standards eingehalten werden, die sowohl in China als auch in Uganda funktionieren, wenn es möglich ist, eine weltweite Währung wie Bitcoin zu erschaffen, dann ist es auch möglich eine durchgehende Autobahn von Lissabon bis Wladiwostock zu bauen, ohne vorher die Zustimmung jeder einzelnen der tausenden von Anrainergemeinden einholen zu müssen, und ohne das Projekt mit Gewalt durchsetzen zu müssen - because the incentive structure actually works.

Das Internet zeigt auch einige Parallelen. Was hat das Internet nicht alles zerschlagen? Im Prinzip alle großen Monopole, und den Rest hat es gründlich umgekrempelt. Nur die Banken blieben bislang verschont. Bitcoin ist sozusagen der zweite Layer des Internet. Das dürfte höchst spannend werden...

Anarchapulco 2019 DE
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Sehr gut gesagt.