FED – Die Bank Amerikas: Der wahnwitzige Kampf um die Gründung der Federal Reserve

in #bankster4 years ago

FED – Die Bank Amerikas

Der wahnwitzige Kampf um die Gründung der Federal Reserve

Rezension

Finanzkrise, Niedrigzins, Schuldenberg: Die US-Zentralbank Fed mag heute dringlichere Themen haben als ihre abenteuerliche und skandalumwitterte Gründungsgeschichte. Der Finanzjournalist Roger Lowenstein zeigt jedoch, dass diese historische Episode, die sich vor über 100 Jahren abspielte, sehr wohl aktuelle Bezüge hat: Wer die Macht über den Dollar hat, ist und bleibt umstritten. Anders als die Akteure, die damals die Fed-Gründung bewirkten, sind die Konfliktlinien, an denen sie fochten, noch immer ein virulenter Teil der amerikanischen Politik. Lowenstein gelingt es, diese Parallelen auf packende Art aufzuzeigen. Dass sich seine historische Nacherzählung manchmal im Detail verliert und geldpolitische Zusammenhänge oft nur angerissen werden, ist vernachlässigbar. Das Buch ist ein gut lesbares Standardwerk über die Vorgeschichte der Fed. getAbstract empfiehlt es allen, die sich für die Hintergründe der amerikanischen Politik und Wirtschaft interessieren.

Take-aways

  • Die Zentralbank der USA wurde 1913 gegründet – vergleichsweise spät und gegen große Widerstände.
  • Maßgeblich für ihre Entstehung war die Durchsetzungskraft des frisch gewählten Präsidenten Woodrow Wilson.
  • Als ihr geistiger Wegbereiter gilt der deutsche Einwanderer und Bankier Paul Warburg.
  • Das Ringen um den Gesetzesentwurf war begleitet von politischen Intrigen, Heimlichkeiten und Lobbyarbeit.
  • Die Struktur der Federal Reserve (Fed) war ein Kompromiss zum Interessenausgleich zwischen Zentrale und Peripherie, Stadt und Land, Finanzwelt und Politik.
  • Die Fed hat wesentlich zum Aufstieg der USA und des US-Dollar beigetragen.
  • Damals wie heute herrscht in Amerika eine große Angst vor zentralisierter Macht.
  • Statt wie geplant zwölf gleichberechtigte Banken zu Fed-Teilhabern zu machen, dominierten von Anfang an New Yorker Großbanken.
  • Heutige Kritiker werfen der US-Zentralbank zu große Nähe zur Wall Street vor.
  • Macht und Befugnisse der Fed sind im Lauf der Zeit immer größer geworden. Sie ist die wichtigste Bank der Welt.

Zusammenfassung

Die USA – auf dem Finanzmarkt ein Nachzügler

An der Schwelle des 20. Jahrhunderts passte das Finanzsystem der USA nicht mehr zur industriellen Entwicklung der aufstrebenden Einwanderernation. Anders als die anderen Industrieländer besaß das Land keine Zentralbank. Die unzähligen Banken waren auf sich allein gestellt. Die letzte Bankenreform hatte es 1863/64 im Bürgerkrieg gegeben, als in den Regionen Nationalbanken gegründet wurden. Diese emittierten Banknoten, deren Vorderseite einheitlich gestaltet war. Das verringerte zwar den unregulierten Notendruck, der zu Kreditblasen und großen Qualitätsunterschieden geführt hatte – Scheine aus Maine etwa trugen den Spitznamen „Hautpflaster“. Doch die Menge der neuen Banknoten stand nicht im Verhältnis zur wirtschaftlichen Aktivität. Die Kopplung der „Greenback“ genannten Dollarnote an Goldvorräte verknappte die Geldmenge weiter: Es gab zu wenig Gold, um ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen. Die Preise für Waren verfielen – von 1867 bis 1897 herrschte Deflation –, während das knappe Gold immer teurer wurde.

„Was eigentlich ein unkompliziertes und geradliniges Projekt war, nämlich die Gründung einer starken Zentralbank, galt in Amerika als ein absurdes und gefährliches Konzept.“

Jede einzelne Geschäftsbank hielt eine große Bargeldreserve vor, um im Fall einer Panik Kunden auszahlen zu können. Dieses Reservegeld stand für Kredite nicht zur Verfügung. Stattdessen floss es an die Börse in New York, wo es bei Bedarf abgezogen wurde, was Börsenpaniken auslöste; ab 1887 gab es etwa alle drei Jahre eine solche. Üblich war zudem eine Bargeld- und Kreditverknappung im Herbst, wenn ländliche Banken das Einholen der Ernte finanzierten und dazu ihre Reserven aus den Großstädten transferierten. Die Zinsen stiegen teilweise auf über 100 Prozent. International war der Dollar derweil noch ohne Bedeutung. Die USA galten nicht als Land mit einer unabhängigen Geldpolitik.

Warum es lange keine US-Zentralbank gab

Obwohl die beschriebenen Institutionen längst nicht mehr den Finanzbedürfnissen der Städte, Fabriken, Eisenbahnen und Bürger nachkamen, sträubten sich die USA gegen eine Zentralbank. Die Skepsis gegen Machtkonzentration war ebenso groß wie jene gegen die englische Krone. Vor allem aber passte eine Zentralbank nicht zur Vorstellung der Bauern von lokaler Autonomie. Darum wurde die 1791 gegründete erste US-Zentralbank bereits 1811 wieder aufgelöst, obwohl sie – zumindest in wirtschaftlich florierendem Umfeld – gut funktioniert hatte. Fünf Jahre später wurde eine neue Zentralbank gegründet, nur um 1836 ebenfalls aufgelöst zu werden. Deren Geldscheine waren zwar landesweit benutzt und akzeptiert worden, auf dem Land aber – besonders im Westen und Süden – als Symbol der föderalen Ostküsteneliten verhasst. Die standen unter Verdacht, einen „Money Trust“ bilden zu wollen, ein Geldkartell. Da Farmer in den USA kapitalintensiver produzierten als in Europa, waren sie abhängiger von Banken. Anläufe zur Neugründung einer Zentralbank scheiterten – bis 1913.

Die Vorbereiter: Warburg und Aldrich

Großen Anteil an der Gründung der Federal Reserve – kurz: Fed – hatte der deutschstämmige Bankier Paul Moritz Warburg. Er erkannte die Rückständigkeit des US-Finanzsystems. Die Finanzpanik von 1907 machte ihm und anderen klar, dass die isolierten Banken im Krisenfall unfähig waren, Kredite zu vergeben. Der Privatbankier J. P. Morgan musste damals wie eine Zentralbank agieren und flüssige Mittel organisieren.

„Auf ein Volk, für das Lokalautonomie ein Heiligtum war, wirkte die Vorstellung einer mächtigen Bank an der Seite einer noch mächtigeren föderalen Regierung zutiefst verstörend.“

Warburg schrieb Artikel und überzeugte den republikanischen Senator Nelson W. Aldrich, aktiv zu werden. Aldrich wurde Vorsitzender eines Ausschusses für Währungsfragen und reiste 1908 zu den Zentralbanken in London, Berlin und Paris. Er kehrte als überzeugter Zentralbankbefürworter zurück. Um einen Vorschlag auszuarbeiten, zog sich der in der Öffentlichkeit höchst unbeliebte, da auf dubiosen Wegen zu viel Geld gekommene Aldrich mit Wall-Street-Vertretern, darunter Warburg und Morgan, 1910 auf eine einsame Insel zurück. Auf der abgeschiedenen Jekyl Island glaubten sich die Banker vor Angriffen einer auf soziale Gerechtigkeit drängenden Öffentlichkeit sicher, die vermehrt Kritik an Elitenpfründen äußerte. Diese Heimlichkeit bietet bis heute Nährboden für teilweise antisemitische Verschwörungstheorien. Nach hitzigen Debatten einigten sich die Teilnehmer auf einen Vorschlag für eine von Banken kontrollierte Zentralbank mit föderaler Struktur, bescheiden „Reserve Association“ genannt.

Die Vollstrecker: Glass und Owen

Mit der Veröffentlichung dieses Aldrich-Plans lag ein Entwurf vor, der von Banken, Wirtschaft, Handelsministerium und den meisten Republikanern unterstützt wurde. 1912 waren jedoch die Demokraten im Kongress an die Macht gekommen – traditionell keine Zentralbankbefürworter. Sie hatten ihre Basis im Süden und Westen des Landes und waren entsprechend skeptisch gegenüber einer neuen zentralen Institution. Das galt jedoch nicht für den ebenfalls 1912 gewählten demokratischen Präsidenten Woodrow Wilson. Es folgten hektische Monate des Pokerns um das Gesetz. Begleitet wurde der Gesetzgebungsprozess von der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Banken finanzierten eine Vereinigung mit dem irreführenden Namen „Bürgerliga zur Förderung eines soliden Bankensystems“, die ihre Verbindung zur Wall Street verschleierte und überparteilich auftrat.

„Das System litt unter ernsthaften Strukturmängeln, denn es war nicht in der Lage, gleichmäßig für eine ausreichende Geldmenge zu sorgen.“

Dem demokratischen Südstaaten-Abgeordneten Carter Glass fiel die Aufgabe zu, den Gesetzentwurf für den demokratischen Kongress und Präsidenten auszuarbeiten. Im Lauf seines Lebens war Glass an der Schaffung von drei bahnbrechenden Finanzinstitutionen beteiligt: der Fed, der Börsenaufsichtsbehörde SEC (Securities and Exchange Commission) sowie dem Glass-Steagall Act samt Einlagensicherung. Angestachelt von der Rivalität mit einem Unternehmensanwalt und gescheiterten Politiker namens Samuel Untermyer, der als erklärter Wall-Street-Kritiker die Bankengesetzgebung an sich reißen wollte, vertiefte sich Glass als Vorsitzender eines Kongressausschusses ins Finanzthema. Auf Anhörungen verteidigten Fachleute und Bankiers, darunter Warburg, die Notwendigkeit zentraler Reserven gegenüber Glass’ Plan, regionale Reservebanken zu nutzen. Langsam fasste die Überzeugung Fuß, dass eine Bankreform nötig sei, wobei die Details heftig umstritten blieben.

„Die heutigen Mindestreservequoten sind noch niedriger als 1913, worin sich die Betonung der Förderung des Kreditgeschäfts widerspiegelt, wenn auch zulasten der Vernunft.“

Am Ringen beteiligt war auch der Bankenausschussvorsitzende des Senats, Robert Owen. Als Anhänger des populistischen Demokratenführers William J. Bryan war er anders als Aldrich und Glass überzeugt, dass nicht Banken, sondern die Regierung die Geldmenge steuern sollte. Konservative sahen das als Sakrileg – sie fürchteten eine Selbstbedienungsmentalität an der Notenpresse und damit Inflationsgefahr. Owen verlangte zudem, dass das Führungsgremium der Fed – das Board – vom Präsidenten ernannt werden sollte, nicht auch von Banken. Finanzminister McAdoo, der den Namen „Federal Reserve Bank“ einbrachte, befürwortete ebenfalls eine staatliche Zentralbank. Radikale Demokraten verlangten Zugeständnisse an die Agrarwirtschaft, während die Banken um ihren Einfluss fürchteten.

Der entscheidende Faktor: Präsident Wilson

Präsident Wilson konnte die zerstrittenen Akteure schließlich zum Kompromiss bewegen. Das Vertrauen des linken Flügels hatte er gewonnen, als er bei einem Zollgesetz den Wirtschaftslobbys, deren Einfluss bis in den Senat reichten, Kontra gegeben hatte. Wie von Bryan gefordert, entschied sich Wilson für mehr Staat: Obwohl die Banken das Kapital zu stellen hatten, sollten die Banknoten der Fed staatliches Geld sein und das Board sollte von der Regierung ernannt werden. Er sah die Banken als Instrumente der Wirtschaft, nicht als deren Herr. Den innerparteilichen Zwist löste er, indem er eine Versammlung der Demokraten debattieren und abstimmen ließ. Kurz darauf, am 18. September 1913, beschloss das Repräsentantenhaus das Gesetz mit klarer Mehrheit.

„Die Gründung der Federal Reserve schloss die Kluft zwischen den amerikanischen Banken und den entwickelten Bankensystemen und bereitete den Boden für die zukünftige Finanzführerschaft der Vereinigten Staaten.“

In der zweiten Kammer, dem Senat, standen die Aussichten jedoch schlechter. Hier hatte Owen in Anhörungen mit renitenten Senatoren, Bankern und Abweichlern zu kämpfen. Solange der Senat nicht über das Bankengesetz abgestimmt hatte, durfte der Kongress nicht in den Urlaub gehen. Nach einer Reihe von Querelen und Querschüssen, die zu Änderungen des Gesetzes etwa in Form eines höheren Golddeckungsgrads führten, passierte es am 19. Dezember mit 54 zu 34 Stimmen den Senat. Da die Kammern zwei Entwürfe beschlossen hatten, die sich in Details unterschieden, zum Beispiel in der Zahl der Reserve Banks, wurde rasch ein gemeinsamer Entwurf ausgearbeitet und von beiden Kammern verabschiedet. Am 23. Dezember 1913 unterzeichnete Wilson das Gesetz. Im Lauf des Jahres 1914 nahm die Fed den Betrieb auf, ab November war sie einsatzfähig.

Der Kompromiss: das Glass-Owen-Gesetz

Das Glass-Owen-Gesetz lehnte sich, wie später die Biografie Warburgs detailliert belegte, stark an den Aldrich-Plan an, auch wenn Glass das anders darstellte. Es versuchte, durch die spezielle Konstruktion der neuen Zentralbank für einen Ausgleich zwischen Stadt und Land, Bundesstaaten und Zentralregierung sowie zwischen kleinen und großen Banken zu sorgen. Das Gesetz sollte demnach beide Denktraditionen aufnehmen – die von Alexander Hamilton, der als Finanzminister die erste US-Zentralbank gründete, und die des ersten nicht von der Ostküste stammenden amerikanischen Präsidenten Andrew Jackson, der die Machtkonzentration fürchtete. Die Konstruktion der Fed unterscheidet sich deshalb von jener der europäischen Zentralbanken. Sie besteht nicht aus einer zentralen Notenbank, sondern aus zwölf regionalen, die das Federal-Reserve-System bilden und deren Anteilseigner private Banken sind. Bezweckt wurde eine Machtteilung zwischen Zentrale und Peripherie, zwischen Regierung und Geschäftsbanken sowie anfänglich eine regionalspezifische Zinspolitik. Keine der Reservebanken sollte weiter als eine nächtliche Zugfahrt von der nächsten entfernt sein, um im Notfall und unter zentraler Führung rasch Geld schicken zu können. Die Geldmenge sollte sich an der Kreditvergabe und damit an den wirtschaftlichen Erfordernissen orientieren.

Die Evolution nach der Revolution

Statt die Macht der Fed klar zu definieren und einzugrenzen, haben die Gründer der Fed im Gesetzestext vieles offen gelassen. Je nach politischer und konjunktureller Lage konnte die Zentralbank damit stets gewisse Spielräume ausnutzen. Weil zudem die Fed-Befugnisse ständig vom Gesetzgeber verändert wurden, ist die Bank von 1913 kaum noch mit der von heute zu vergleichen. Manche Debatte aus dem Vorfeld des Federal Reserve Acts erinnert dennoch an das politische Klima, wie es nun wieder in den USA herrscht. Es ist zu bezweifeln, dass die Fed-Gründung heute durch den Kongress käme. Viele Aktivitäten der Zentralregierung werden vom rechten Flügel der Republikaner heftig attackiert, während die Fed vielen als Werkzeug der Wall Street gilt – erst recht nach der Finanzkrise 2008.

Wichtige Konfliktfelder sind heute noch virulent

Die Frage, wer die Fed kontrolliert, rückte auch nach der Gründung immer wieder ins Blickfeld. So kam es sowohl zu Machtkämpfen zwischen einzelnen Fed-Regionalbanken, zwischen der Fed New Yorks und der Fed-Zentrale sowie zwischen Finanzministerium und Fed. Tendenziell ist das Fed-Zentrum immer mächtiger geworden. Seit der Abkehr vom Goldstandard in den 1970er-Jahren ist die Fed der wichtigste geldpolitische Entscheider in den USA, und im Lauf der Zeit hat sich ihr Aufgabenspektrum immer mehr verbreitert. So wurde das geldpolitische Ziel der Preisstabilität um das konjunkturpolitische Ziel Vollbeschäftigung erweitert. Ihren finanz- und geldpolitischen Aufgaben ist die Fed nicht immer mit Erfolg nachgekommen. Vor allem in der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre versagte sie. Andererseits hat sie während des Ersten Weltkriegs dazu beigetragen, die Goldvorräte der USA zu vergrößern und den US-Dollar international letztlich als Leitwährung zu etablieren, und es gelang ihr meistens, die Inflation im Griff zu behalten.

Kritik an der Macht der Banken

Ebenfalls aktuell ist die Kritik am Bankeneinfluss. Statt wie geplant zwölf gleichberechtigte Banken zu Fed-Teilhabern zu machen, dominierten von Anfang an New Yorker Großbanken. Immer wieder gab es Beschlüsse, etwa zur Bankenrettung, die als Wall-Street-freundlich interpretiert wurden. Die Banken üben im Fed-System zwar ebenfalls Kontrollfunktionen aus, haben jedoch nicht die Macht über das Board erhalten, das in staatlicher Hand blieb. Die Mindestreservequoten, die Banken bei der Kreditvergabe zügeln sollen, liegen heute dennoch klar unter denen von 1913.

Was die Federal Reserve heute ist

Die Fed gilt als mächtigste Bank der Welt. Sie druckt die US-Banknoten, also den Dollar. Indem sie die kurzfristigen Zinsen festlegt, hat sie Einfluss auf die Kreditvergabe an Immobilienerwerber, Autokäufer und Unternehmen sowie auf den Aktienmarkt. Zudem fällt ihr die Aufsicht über die US-Geschäftsbanken zu. Im Krisenfall besonders wichtig: Als Kreditgeber der letzten Instanz („lender of last resort“) springt sie ein, wenn Banken sich untereinander nichts mehr leihen.

Über den Autor

Roger Lowenstein ist Wirtschaftsjournalist und -publizist mit Schwerpunkt Finanzmarkt. Er arbeitete unter anderem für das Wall Street Journal.