Offline
Der Bildschirm röchelt wie ein verendender Leviathan, sein letztes Zucken gurgelt in gleissender Schwarzheit.
Kein Netzwerk. Kein Widerhall. Nur das Vakuum.
Ich trete gegen den Router, doch er wehrt sich.
Seine Kabel umschlingen meinen Knöchel, ziehen mich ans rote Auge, als wollten sie mich mit einem finalen Update in Binärstaub zerreiben.
Das Gehäuse blättert ab wie verbrannte Haut, Eingeweide aus Kupfer und Plastik winden sich um meine Beine.
Der Bürobeamte.
Sein Siegel auf dem Vertrag: ein Eisenzahn im Fleisch meiner Existenz.
"Gemäss § 23 Abs. 4 wird Ihre Existenz als offline deklariert."
Ich finde das zerrissene Formular auf dem Bürgersteig, die Tinte wäscht der Regen zu schwarzem Blut, und ich kann das Flüstern nicht abschütteln:
"…wird Ihre…Existenz…gelöscht…"
Der Regen, mein einziger Gesprächspartner:
"Du bist schon längst gelöscht", zischt er im Tropfenfall.
Jeder Schlag gegen die Scheibe ist ein Versprechen, mich auszuwaschen, bis nur noch Algorithmen bleiben.
Ich presse das Handy ans Glas, suche den letzten Funken Himmel.
Balken. Zwei.
Dann Leere. Schwarz.
Mein Herz schlägt im Takt des Regens:
Der Regen, der kein Ende nimmt, der Router, der mich erwürgt, ich, der kein Ich mehr ist, wir stürzen ab in eine Endlosschleife.
Meine Finger bluten vom Tippen auf dem ausgestorbenen Display, rote Punkte wie fehlgeleitete Pixels.
Das Wasser sickert unter die Haut, als wolle es die letzte IP-Adresse aus meinen Adern spülen.
Im Treppenhaus höre ich eine alte Stimme von 1933, die durch die feuchte Wand dringt:
"Dich erwischst auch noch mal!"
Jedes Wort ein Datenmüllhaufen, der in meiner Lunge verrottet.
Auf dem Display türmen sich die Grabsteine digitaler Bürokratie:
"Kündigung wegen Nichterreichbarkeit."
"Letzte Mahnung."
800 Meter bis zum Café mit WLAN.
Der Aufzug verweigert seinen Dienst.
Meine Knie glauben, sie hielten bereits den Grabstein für mich in Händen.
"Du schaffst das", flüstere ich, doch der Wind reisst meine Worte in den Abgrund.
Der Schirm kollabiert zu Pergament fetzen.
Der Regen frisst sich durch meinen Pullover.
Autos schleudern Gischt wie scharfe Fragmente gegen meine Haut.
Vor dem Café hängt das Schild: Wegen Stromausfall geschlossen.
Mein Lachen zerbricht, ein Wimmern im Sturm.
Zuhause tropfen die Kleider wie verwesendes Gewebe.
Der Router blinzelt rot, sein letzter Herzschlag schon verglüht.
Irgendwo pocht die Heizung, oder ist es mein eigener Verfall, der als Ticken in den Wänden widerhallt?
Ich google „Notfall Internet“, der Akku verblutet:
3 %… 1 %… Dann Stille.
Im Dunkel taste ich mich zum Fenster.
Gegenüber: die Nachbarin, Nonne des Digitalen, ihr TikTok Licht zeichnet ein Kreuz auf ihr bleiches Antlitz.
Wir verschmelzen im Spiegelbild, Gefangene desselben Bildschirms.
Sie wendet sich ab. Keine Opfergabe für mein Flehen.
Der Kühlschrank surrt sein letztes Wiegenlied, dann schweigt auch er.
Selbst der Strom kapituliert.
Ich warte.
Auf den Bürobeamten. Auf eine Hand. Auf Rettung.
Doch alles, was zurückkehrt, ist die Dunkelheit.
Und das leise, spöttische Knistern eines Routers, der meinen Namen längst vergessen hat.
Letzte ungesendete Zeile:
Ich bin
Ein letzter Tastendruck.
Die Finger bröckeln zu ASCII-Staub.
Der Cursor blinkt ins Nichts.
Der Router lacht.
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